Weiße Menschen in Schulbüchern, in Medien, als Lehrkräfte – wie sollen sich nicht-weiße Schüler*innen da wiederfinden? Sie brauchen Vorbilder, die ihnen ähnlich sind und geschultes Lehrpersonal. Einige gute Beispiele gibt es schon.
Egal in welchem Bereich: Vorbilder zeigen uns, was möglich ist. Vor allem für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, sich auf ihrem Bildungsweg an Vorbildern zu orientieren, mit denen sie sich identifizieren können.
Nicht alle Schüler*innen in Deutschland sind weiß. Ein bedeutender Anteil sind Schwarze Kinder und Jugendliche oder People of Color (kurz BPoC, siehe Info-Kasten). Vor allem ihnen fehlen im Schulalltag Menschen, an denen sie sich orientieren können. Ein Grund: Rassismus ist in unseren gesellschaftlichen Strukturen noch immer fest verankert, oft unbewusst. Betroffen sind daher auch die Schulen. Sowohl Unterrichtsmaterialien als auch Lehrkräfte vermitteln ein eurozentrisches Narrativ (siehe Info-Kasten), „Weiß-Sein“ gilt darin als gesellschaftliche Normalität.
Der Begriff „Schwarz“ wird groß geschrieben. Ebenso wie bei „weiß“, was häufig klein und kursiv geschrieben wird, ist nicht der Hautton einer Person gemeint. Es handelt sich bei „Schwarz“ um eine Selbstbezeichnung, die die politische und gesellschaftliche Positionierung einer Person beschreibt. Schwarze Menschen verbindet unter anderem ihre Rassismuserfahrung. Weiße Menschen hingegen gelten als privilegiert, sie sind nicht von Rassismus betroffen. Mit den Bezeichnungen “Schwarz” und “weiß” will die Antirassismus-Bewegung rassistischer Sprache entgegenwirken.
Daran sind nicht die Pädagog*innen schuld. In ihrer Ausbildung wird auf eine rassismuskritische Perspektive häufig verzichtet. Deshalb fehlt vor allem weißen Lehrkräften häufig einfach das Wissen, um Rassismus entgegenzuwirken. Im Unterricht und in Unterrichtsmaterialien wird Rassismus daher meist unreflektiert weitergegeben.
Was heißt BPoC? BPoC steht für Black (dt. Schwarz), People of Color. Die Begriffe sind politische Selbstbezeichnungen verschiedener Gruppen, die strukturellen Rassismus erfahren. Sie sind aus einem Widerstand entstanden und stehen für den Kampf gegen Unterdrückung und für mehr Gleichberechtigung.
„Wenn man bestimmte historische Ereignisse grundsätzlich von Menschen fernhält, dann können sie das ja auch gar nicht transportieren oder reflektieren“, sagt Irene Appiah. Sie ist Juristin und arbeitet seit einigen Jahren im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg. In der Beratungsstelle Interkulturelle Erziehung berät sie unter anderem schulisches Personal zu interkulturellen Fragen, koordiniert Motivationsworkshops für Schüler*innen sowie die “Sprach- und Kulturmittlung”, also das Vermitteln zwischen Kulturen.
„Perspektiven von Minderheitsgruppen bleiben oft zurück“
In vielen Hamburger Schulen hat etwa die Hälfte der Schüler*innen eine Migrationsgeschichte (man spricht von „Eingewanderten und ihren Nachkommen“). Besonders für sie ist es belastend und demotivierend, wenn BPoC im Unterricht als von der weißen, angeblichen Normalität abweichend dargestellt werden.
Was ist Eurozentrismus? Nicht-europäische Kulturen werden anhand europäischer Werte und Normen bewertet. Europa steht dabei unhinterfragt im Mittelpunkt des Denkens und Handels, Europas Geschichte gilt als idealer Maßstab.
„Für die neuere Generation an Lehrkräften sollte es dazugehören, Migrationsgeschichten und -themen neu zu beleuchten und das nicht nur aus der eurozentrischen Sicht zu sehen”, sagt Appiah. Schon in der Forschung sei es immer so gewesen: Bestimmte Meinungen habe man nie gesehen, viele Perspektiven seien zurückgeblieben. “Meistens sind das die der Minderheitsgruppen“, sagt Appiah.
Im Rahmen des Black History Month bietet die Beratungsstelle Interkulturelle Erziehung Online-Workshops für Lehrkräfte an, in denen die Ursprünge von Rassismus beleuchtet werden. Zudem wird den Pädagog*innen vermittelt, wie sie rassismuskritisch denken und handeln. Später soll ein Teil dieser Workshops mit außerschulischen Kooperationspartner*innen dann für die Schüler*innen angeboten werden.
Brückenbauer*innen unterstützen bei Missverständnissen
Damit Kinder mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gleichermaßen in das Schulsystem integriert werden, ist ein Verständnis der Pädagog*innen für diese Kinder sehr wichtig. Natürlich müssen auch Eltern das Schulsystem verstehen. Um die Kommunikation zwischen diesen Parteien zu erleichtern, bietet die Beratungsstelle Interkulturelle Erziehung eine “Sprach- und Kulturmittlung” an.
„Wir versuchen den Lehrkräften eine Stütze zu sein, um die Eltern zu erreichen. Und andersherum auch: den Eltern eine Stütze zu sein, um die Lehrkräfte oder das Schulsystem zu verstehen,“ sagt Appiah. Sie ist für die Konzeption, Fortbildung und die Vermittlung der Sprach- und Kulturmittler*innen an Schulen zuständig.
Die sogenannten Brückenbauer*innen sind Personen mit Migrationsbiografie, die durch ihre sprachlichen und kulturellen Kenntnisse bei Verständigungsproblemen und Konflikten vermitteln können. Davon profitieren vor allem die Kinder, deren schulische Leistungen durch interkulturelle Missverständnisse stark beeinträchtigt werden können.
Menschen mit Migrationsgeschichte als Vorbild
Doch damit nicht genug. Seit mehreren Jahren leitet Appiah auch das Projekt „Motivationsworkshops“. Dazu bringt sie erfolgreiche Hamburger*innen mit Migrationsgeschichte in die Schulen, die dort Workshops mit den Schüler*innen durchführen und als Vorbilder dienen sollen.
Ziel ist es, die Schüler*innen für den Schulbesuch zu motivieren und ihre eigene Persönlichkeit zu stärken. „Es geht darum, dass sich die Schüler*innen reflektieren sollen und sich selber in der Person oder der Stellung wahrnehmen können“, sagt Appiah.
Da ein Workshop insgesamt nicht länger als ein paar Stunden dauert, gelte das Programm quasi als Impulsgeber. „Diejenigen, die die Motivation verspüren, langfristiger begleitet zu werden, können dann bei anderen Projekten anschließen.“ Damit meint Appiah Projekte wie „Vorbilder“ des Hamburger Vereins Future of Ghana Germany (FoGG). Dieses Projekt richtet sich speziell an Schwarze Kinder und Jugendliche.
„In Deutschland wachsen die meisten Schwarzen Jugendlichen ohne sichtbare Vorbilder auf“
Tanja Scheffler ist Mitglied des Vereins FoGG und für die Koordination des Projektes „Vorbilder“ zuständig.
Lange war sie wie die meisten Mitglieder ehrenamtlich in dem Verein tätig. Inzwischen ist sie neben einigen Minijobbern das erste hauptamtlich beschäftigte Mitglied.
Wichtig sind Vorbilder auch, weil einige Eltern ihre Kinder manchmal nicht ausreichend unterstützen können. Auch nicht, wenn die Kinder Rassismus erleben. FoGG stellt Schwarzen Schüler*innen individuell jeweils eine Schwarze Vertrauensperson an die Seite. Mit ihren kulturübergreifenden Erfahrungen sollen die Mentor*innen des Projektes „Vorbilder“ zwischen den Schüler*innen, Eltern und Lehrkräften vermitteln. Das Prinzip ist ähnlich wie das der “Sprach- und Kulturmittlung”.
„Gerade in Deutschland wachsen die meisten Schwarzen Jugendlichen ohne sichtbare Vorbilder auf”, sagt Scheffler. Dabei sei das vor allem im beruflichen Kontext ganz wichtig. “Die gehen zur Schule und haben kaum Vorstellungen oder Ideen, in welche Berufe sie eigentlich alles reingehen können.” Deswegen sei es wichtig, dass der Verein Schwarze Mentor*innen zur Seite stelle, mit denen sich die Jugendlichen identifizieren können. Mentor*innen, die laut Scheffler oft selbst schon strukturelle diskriminierende Herausforderungen erlebt und überwunden haben.
Über 80 Patenschaften vermittelt
FoGG akquiriert die Mentor*innen, die aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen, und bildet sie in Qualifizierungsworkshops aus. Anschließend lernen die Mentor*innen und Mentees sich bei einem Gruppenmentoring kennen, was in der ersten Phase des Projektes „Vorbilder“ an Schulen stattfindet. „Da begleiten wir eine Gruppe von Schülern und Schülerinnen ein halbes Jahr und machen Empowermentworkshops mit denen, Kennlernreisen und Betriebsausflüge”, so Scheffler. Wer möchte, wird dann ins Einzelmonitoring überführt.
Bei dem Einzelmentoring treffen sich die Vorbilder mit ihren Mentees etwa einmal pro Monat über den Zeitraum von einem Jahr. Sie unternehmen gemeinsame Freizeitaktivitäten und bauen bestenfalls eine Bindung auf. Dabei sollen die Kinder und Jugendlichen lernen, selbstständiger zu werden.
Seit dem Start 2017 hat FoGG über 80 Patenschaften vermittelt – letztes Jahr waren es allein 30 und damit das bisher erfolgreichste Jahr. „Das hat zwei Gründe: Zum einen tatsächlich Corona. Viele Mentoren hatten Zeit und haben gesagt, sie möchten sich engagieren. Zum anderen war das auch die große Black-Lives-Matter-Bewegung nach dem Tod von George Floyd”, sagt Scheffler. “Viele Mentoren haben sich nochmal bei uns gemeldet und gesagt, dass sie das nachdenklich gemacht hat und sie etwas verändern wollen.“
„Die Schwarzen Kinder brauchen einen Raum, wo sie sie selbst sein können“
Mittlerweile werden die Kinder und Jugendlichen nicht nur über die Schulen auf FoGG aufmerksam, sondern auch über die Sozialen Medien. Auch weiße Menschen folgen den Accounts von FoGG und wollen sich teilweise selbst engagieren.
Was sind Safe Spaces? In der weißen Mehrheitsgesellschaft sind Schwarze Menschen selten unter sich. Safe Spaces schaffen einen Raum nur für Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, der in der Theorie frei von eben diesen Diskriminierungen ist. Hier muss sich niemand vor plötzlichen rassistischen Äußerungen oder Handlungen fürchten.
Ihnen müssen Scheffler und die anderen Mitglieder erklären, warum es wichtig ist, dass die Mentor*innen in dem Projekt „Vorbilder“ Schwarze Menschen sind. „Ich glaube, das ist manchmal schwierig auf den ersten Blick zu verstehen. Die Weißen fragen sich: Werde ich irgendwie ausgeschlossen?” Die meisten würden aber verstehen, dass es nicht so gemeint sei. “Sondern, dass es einfach wichtig ist, den Schwarzen Kindern einen Raum zu geben, wo sie sie selber sein können.“
Titelbild: Daron Bandeira/FoGG