Wie oft fühlst du dich einsam? Einsamkeit war schon vor Corona-Zeiten ein Problem. Durch die Pandemie ist es jedoch vermehrt in den Fokus gerückt. Ein Workshop an der HAW hat das Thema beleuchtet – und zeigt Wege aus der Einsamkeit.
Die Corona-Pandemie rückt die Problematik der Einsamkeit verstärkt in den Fokus. Isolation durch Quarantäne, Abstandsregeln und Einschränkungen der Personen bei einem Treffen: Das alles belastet vor allem psychisch kranke Menschen stark. Aber auch Menschen, denen es mental gut geht, geht die Corona-Situation nah. Zum Beispiel durch die ständig wechselnden Regelungen. Mal droht lähmende Langeweile, mal Reizüberflutung.
Einsamkeit war 2018 eines der, man kann schon sagen, Trend-Themen in den Medien und in der Politik. Warum? In dem Jahr beschloss in Großbritannien die damalige Premierministerin Theresa May, eine eigene Position im Ministerium für Digitales, Kultur, Medien und Sport einzuführen. Seitdem gibt es eine/n britische/n Minister:in für Einsamkeit. Auch in Deutschland wird dem Thema zunehmend mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Festival “Healthyland” thematisiert soziale Gesundheit
So behandelte auch das Gesundheitsfestival „Healthyland“ der HAW Hamburg das große Thema Einsamkeit in einem der Workshops. In einer Woche im Juni organisierte CamPuls, ein Forschungsprojekt zur Förderung und Entwicklung der Studierendengesundheit an der HAW Hamburg, das Healthyland per Zoom. Eine der Veranstaltungen war der Workshop „Besser gemeinsam statt einsam“ von Prof. Dr. Dieter Röh. In diesem ging es um soziale Gesundheit. Welche Rolle sie in unserem Alltag spielt und wie sie das Gefühl der Einsamkeit beeinflusst. FINK.HAMBURG hat an dem Workshop teilgenommen.
Dieter Röh, Professor für Wissenschaft der Sozialen Arbeit sowie Beauftragter für die Belange behinderter und chronisch kranker Studierender an der HAW Hamburg, zeigte in seinem Workshop, wie sehr mentale Gesundheit mit sozialer Gesundheit zusammenhängt.
Prof. Dr. Dieter Röh. Foto: HAW Hamburg
„Menschen sind füreinander ein soziales Immunsystem.“ – Prof. Dr. Dieter Röh
„Soziale Gesundheit ist ein gesellschaftliches Phänomen, dem gerade im Kontext von Corona eine besondere Bedeutung zukommt“, sagte Röh. Soziale Gesundheit bedeutet für ihn: eingebunden zu sein in Beziehungen, Sicherheit, Zugehörigkeit und Unterstützung zu erfahren. Sie geht weiter über den einzelnen Menschen und dessen Verbindungen hinaus. Auch Arbeits- oder Lebensbedingungen zählen dazu, Bildung und soziale Netzwerke. Dabei meint Röh besonders die Netzwerke im „echten“ Leben, weniger die in den sozialen Medien.
Soziale Gesundheit – soziale Netzwerke
Soziale Netzwerke, im Sinne von Beziehungen zu anderen Menschen im „echten“ Leben, haben laut Röh eine verbindende, zugleich aber auch kontrollierende und teilwiese disziplinierende Funktion. „Sie können also auch einengen“, sagt Röh.
Während seines Workshops beim „Healthyland”, zeigen sich bei den Teilnehmer:innen genau diese zwei Seiten: Einige vermissen seit über einem Jahr das Beisammensein mit Freund:innen, Kommiliton:innen oder Abreitskolleg:innen. Andern wiederum hat die Pandemie gezeigt, wie wichtig es ist, auch mal Zeit für sich zu haben, auf sich zu achten und nicht ständig in soziale Aktivitäten eingebunden zu sein.
Die HAW Hamburg bietet mit Peer to Peer ein Angebot von Studierenden für Studierende, das sich für die Interessen von chronisch erkrankten oder psychisch belasteten Studierenden einsetzt. Es ermöglicht, in einem geschützten Rahmen über Ängste und Sorgen zu sprechen. Im Pandemie-Jahr 2020 haben 76 Studierende zum ersten Mal das Peer to Peer Angebot genutzt. Das Angebot wird vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) unterstützt.
Es bestehe immer mehr eine Diskrepanz zwischen unheimlich vielen Kontakten durch soziale Medien, wie Instagram oder Facebook, und dem Gefühl, trotzdem einsam zu sein, so Röh. Er verweist hierzu auf das Buch „Die neue Einsamkeit“ von Diana Kinnert. „Wir sind zwar unglaublich vernetzt und trotzdem irgendwie unverbunden“, so lautet eine der Kernaussagen des Buches über die junge Generation von heute.
Grundsätzlich lässt sich laut Röh jedoch sagen: Je größter die soziale Isolation eines Menschen ist, desto weniger besteht Kontakt zu anderen Personen. Dies wird auch durch die soziale Lage beeinflusst. „Vor allem durch geringe sozioökonomische Ressourcen“, sagt Röh. Das bedeute, je geringer die finanziellen Möglichkeiten sind, desto weniger nehmen die Menschen an Freizeitveranstaltungen teil.
Studie: Jedes dritte Kind zeigt psychische Auffälligkeiten
Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat im ersten und zweiten Lockdown in der sogenannten Copsy-Studie das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass ein knappes Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie bei fast jedem dritten Kind psychische Auffälligkeiten auftraten. Diese reichen von depressiven Symptomen übe psychosomatischen Beschwerden, wie Kopf- oder Bauchweh, bis hin zu einer Zunahme von Ängsten und Sorgen.
Auch die größte Langzeitstudie in Deutschland, das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) untersucht seit dem letzten Jahr unter dem Titel „SOEP-CoV-Studie“ zusätzlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Psyche der in Deutschland lebenden Bevölkerung. Eine Befragung Anfang dieses Jahres zeigte, dass sich die Befragten im Vergleich zu 2020 gleichbleibend einsam fühlen, die Lebenszufriedenheit jedoch gesunken ist. Besonders jüngere Personen, Menschen mit direktem Migrationshintergrund und Frauen litten unter dem zweiten, längeren Lockdown. Um der Einsamkeit entgegenzuwirken, empfiehlt das SOEP unter anderem auf Bundesebene eine/n Einsamkeitsbeauftragte:n einzuführen. Dieser könne das Thema umfänglich koordinieren und betreuen.
Einsamkeit ist ein politisch relevantes Thema
Röh hält eine/n Einsamkeitsbeauftragte:n ebenfalls für sinnvoll. Es sei Aufgabe der Politik, soziale Gesundheit in allen Lebensphasen und Lebensbereichen der Bürger:innen mitzudenken. Das reiche von Sozial- und Gesundheitspolitik bis hin zur Stadtplanung oder Architektur. „Gerade in hoch individualisierten Gesellschaften stellt sich das als politische Aufgabe, hier wieder für mehr Zusammenhalt, Solidarität und Gemeinschaft zu sorgen“, so der HAW-Professor.
„Politisch sollte soziale Gesundheit eine Aufgabe sein, die man über alle Altersschichten hinweg ernst nimmt.“ – Prof. Dr. Dieter Röh.
Foto: Marieke Weller
Stadt oder Land? Die Nachbarschaft zählt
In Hamburg gibt es 54,3 Prozent Einpersonenhaushalte. Dies zeigt der Bericht zu den Hamburger Stadtteilen in 2019 des Statistikamts Nord. Bei jungen Familien sei zurzeit der Trend erkennbar, von der Stadt auf das Land zu ziehen, so Röh. Oder zumindest in ein städtisches Randgebiet mit mehr Grün drumherum. Dennoch glaubt er, dass Einsamkeit gleichermaßen ein Stadt- und Landproblem ist. Neben dem Grün sei auch eine gute Beziehung zu den Nachbarn wichtig. „Es ist nachgewiesen, dass bei Menschen, die in einer netten, schönen Nachbarschaft leben und aufwachsen, zum Beispiel mehr Kreativität freigesetzt wird“, so Röh.
Es lohnt sich also, das soziale Klima um uns herum zu stärken. Auch in der Nachbarschaft. Wie das geht? Wir sollten aufeinander achten. Denn dies hat laut Röh einen großen Effekt auf jede Person aus dem Umfeld. Auch für diejenigen, die eher introvertiert und sozial nicht sonderlich stark eingebunden sind. „Beiläufige Beziehungen sind wichtig für die soziale Gesundheit“, sagt er.
Ein Lächeln gegen Einsamkeit
„Menschen sind füreinander ein soziales Immunsystem, wirken sich direkt auf körperliche Parameter wie zum Beispiel Bluthochdruck aus“, sagte Röh. Isolation, Einsamkeit und fehlende Beziehungen zu anderen Menschen können nicht nur unglücklich, sondern auf Dauer sogar krank machen. Dies müsse aber nicht auf jeden Menschen zutreffen.
Neben den gewohnten Kontakten zu Eltern, Freunden, Lebenspartnern oder Kommiliton:innen sowie Arbeitskolleg:innen, spielen auch kleine Begegnungen im Alltag eine entscheidende Rolle. Sie werden kaum wahrgenommen und selten als soziale Beziehung gezählt. Doch gerade diese Begegnungen im Alltag, wie der Plausch mit dem Kassierer oder der Nachbarin, haben eine enorme Kraft auf die soziale Gesundheit. „Meine Identität wird stabilisiert dadurch, dass ich Anerkennung bekomme“, so Röh.
Ein Lächeln, ein netter Satz – kleine Gesten haben eine identitätsstiftende Funktion. Die Kraft der unscheinbaren Begegnungen, die sich eher nebenbei ereignen, solle also nicht unterschätzt werden.
Viele Menschen nehmen sich im Alltag nicht die Zeit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es um die eigene soziale Gesundheit steht. Wie sieht es bei dir aus? Wir haben hier ein paar Fragen zur Selbstreflexion oder auch zum Besprechen in einer Gruppe von Prof. Dr. Dieter Röh. Diese helfen bei der Standortbestimmung: Bist du gerade zufrieden mit deinen Kontakten? Wünschst du dir mehr?
- Mit welchen Menschen bin ich derzeit in Kontakt?
- Was gibt mir das Zusammensein mit anderen Menschen?
- Mit wem mache ich derzeit was in meinem Alltag?
- Bin ich zufrieden mit meinen sozialen Beziehungen oder möchte ich etwas ändern?
- Mit wem spreche ich derzeit regelmäßig?
- Macht die Pandemiezeit einen großen Unterschied?
- Was tue ich, um andere Menschen zu treffen oder zu sprechen?
- Wo könnte ich andere Menschen treffen oder kennenlernen?
- Was kann ich aktiv tun, wenn ich mir (weitere) soziale Beziehungen wünsche?
Titelfoto: Marieke Weller