Viele Studierende waren in den letzten Monaten täglich bei Online-Vorlesungen über eine Videokonferenztool. Aber warum sind die so anstrengend? Svea Lübstorf und Oliver Reis haben bei einem Workshop an der HAW Hamburg erklärt, was hinter dem Phänomen “Zoom-Müdigkeit” steckt.
In allen Bereichen der Hochschule ist es während der Corona-Pandemie normal geworden, per Videokonferenz zu kommunizieren und zu interagieren. Doch wieso empfinden wir die Lehrveranstaltungen und Meetings über Websysteme wie Zoom oder Microsofts Teams als so ermüdend?
Um diese und weitere Fragen zur Virtual Meeting Fatigue – so der wissenschaftliche Begriff für die erkannte “Zoom-Müdigkeit” – zu beantworten, hat die HAW Hamburg die Psychologin Svea Lübstorf und Professor Oliver Reis von der Universität Paderborn zu einem Vortrag an die Hochschule eingeladen – natürlich über Zoom.
Lübstorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg und erforscht die Virtual Meeting Fatigue. “Fatigue ist für uns allgemein kein neues Phänomen, aber durch den Anstieg an virtuellen Meetings in der Corona-Pandemie wird es gerade besonders publik”, so Lübstorf in dem Vortrag. Oliver Reis, Professor am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Lehren und Lernen an Hochschulen. Er ergänzt: “Der Begriff von ‘Zoom-Müdigkeit’ wird schnell zu einer Metapher für verschiedene Dinge und da ist es wichtig, noch einmal zu gucken, was damit genau gemeint ist.”
Fatigue: Nicht bewegt und trotzdem erschöpft
Nach Lübstorf beschreibt Fatigue in der klinischen Psychologie die Veränderung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens, die dadurch ausgelöst wird, dass man sich über eine längere Zeit hinweg mit einer Aufgabe beschäftigt, die kognitiv anstrengt. Körperliche Bewegung ist dafür nicht nötig.
Beim Virtual Meeting Fatigue geht es konkret um die aufkommende Erschöpfung oder Müdigkeit, nachdem man an einem virtuellen Meeting über ein Videokonferenztool teilgenommen hat. Das heißt, das virtuelle Meeting muss der Auslöser dafür sein, dass man sich erschöpft fühlt – nicht etwa das lange Sitzen vor dem Bildschirm (Screen-Fatique) oder das Corona-Virus und damit verbundene Stressfaktoren wie zum Beispiel Zukunftsängste.
Homeoffice ist keine Erholung
“Vielen Menschen ist aufgefallen, dass sie nach Videokonferenzen besonders müde sind”, sagt Psychologin Lübstorf. Daraufhin seien viele Theorien und Positionsbeiträge entstanden, in denen es über genau diese Müdigkeit geht – Wissenschaft sei das aber noch nicht.
Um das Phänomen wissenschaftlich greifbar zu machen, musste die spezielle Meeting-Ermüdung messbar werden, sagt Lübstorf. Dazu hätten Forschende eine Skala entwickelt, die sowohl die soziale Ermüdung als auch die visuelle Ermüdung berücksichtigt. Soziale Ermüdung meint dabei die Ermüdung, die dadurch entstehe, dass die soziale Kommunikation verarme. Die visuelle Ermüdung könne durch das lange Betrachten des Bildschirmes auftreten.
Kamera an oder aus?
„Die Kameranutzung ist ein ganz zentraler Faktor, der zu einem höheren Wohlbefinden beiträgt.“ – Svea Lübstorf
Laut Lübstorf befürworten viele Nutzer:innen, wenn die Kameras während der virtuellen Meetings eingeschaltet bleiben: “Die Kameranutzung scheint ein ganz zentraler Faktor, der zu einem höheren Wohlbefinden beiträgt.”
Allerdings habe eine eingeschaltete Kamera auch Kehrseiten. Lübstorf erklärt, dass es Teilnehmende stresse, sich selbst und andere so lange auf dem Bildschirm zu sehen. Der Bildausschnitt sei ungewohnt klein und sehr nah an den Personen. “Die Teilnehmenden sind meist nur bis zu den Schultern sichtbar und die Körpersprache sowie Gestik deshalb schwer zu erkennen”, sagt Lübstorf. Während des Video-Meetings sehen wir nur unvollständige Bilder. Trotzdem versucht das Gehirn weiterhin, über den visuellen Kanal alle Information zu bekommen, um die Menschen vor uns zu verstehen. Das funktioniert aber nicht wie gewohnt und ist deswegen mit einer hohen Anstrengung verbunden.
Bildschirm oder Kamera – wo schau ich hin?
Oliver Reis ergänzt, der Blickkontakt sei ein weiterer wichtiger Aspekt der zwischenmenschlichen Kommunikation, der dem virtuellen Meeting zum Opfer fällt – da hilft auch die eingeschaltete Kamera nicht. “Blickkontakt ist wichtig, um Aufmerksamkeit zu signalisieren und Vertrauen aufzubauen”, so der Professor. Vertrauen aufzubauen helfe, die Komplexität einer Sache zu reduzieren. Das bedeutet, es ist für das Gehirn leichter Informationen einzuordnen und zu verarbeiten, wenn man den anwesenden Personen vertraut und sich in der Situation wohlfühlt.
Während der virtuellen Meetings befänden sich die Teilnehmenden durchgehend im Ausnahmezustand und versuchten – entweder bewusst oder unbewusst – diese Störung in der nonverbalen Kommunikation zu kompensieren. Das Gehirn sei quasi in ständiger Alarmbereitschaft und befürchte, irgendetwas Bedrohliches könnte von den unbekannten Personen ausgehen. Deswegen könnten sich die Teilnehmenden nicht wirklich fallen lassen: “Das ist mentale Arbeit, die erschöpft”, sagt Reis. Und die Virtual Meeting Fatigue fördere.
“Könnt ihr mich hören?”
Laut Lübstorf und Reis führen auch technische Störungen zu mehr Anstrengung für die Nutzer:innen. “Wenn Sekunden bei der Übertragung fehlen, müssen wir Inhalte und Informationen kompensieren und können Eindrücke erst verzögert verarbeiten, wodurch mehr Anstrengung gefordert wird”, sagt Reis.
Eine weitere Ursache für Virtual Meeting Fatigue ist laut Lübstorf die fehlende Bewegung. “Durch die Tatsache, dass ich vor der Kamera sitze, kann ich nicht hin und her gehen und bin in meiner Mobilität sehr eingeschränkt”, so die Psychologin.
Anpassen an die virtuelle Umgebung
“Unsere Studierenden sind zur Zeit in einem System gefangen, auf das sie eigentlich gar keine Lust haben, dem sie aber nicht entkommen können”, sagt Reis. In seinen Gesprächen mit den Studierenden sei immer wieder deutlich geworden, dass sich die meisten ein Studium in Präsenz gewünscht hätten. Nun säßen sie seit drei Semestern im Homeoffice.
Reis appelliert, die Dozierenden müssten ihre Kurse an die neue virtuelle Umgebung anpassen, statt einfach so weiter zu machen wie bisher in der analogen Lehre. “Wenn die Folien und Inhalte eins zu eins übernommen werden, ist das für niemanden hilfreich.”
Darauf sollten Veranstaltende achten
Laut Lübstorf helfe es außerdem, zu einem Meeting nur diejenigen einzuladen, für die das Treffen oder die Einheit auch wirklich relevant ist. Das fördere auf der einen Seite den gezielten Austausch in der Gruppe, auf der anderen Seite mindere man so das Risiko, dass die Zuhörer:innen abschweifen oder sich nebenbei anderen Aufgaben widmen – Stichwort Multitasking.
Auch das Zeitmanagement ist wichtig: “Meetings am Nachmittag sind deutlich ermüdender als Meetings am Morgen”, sagt Lübstorf. Zudem sollte man auf zu viele Meetings hintereinander verzichten, da dies zusätzlich anstrenge.
Tipps der Expert:innen gegen die Zoom-Müdigkeit
Wer sich in der Virtual Meeting Fatigue wiedererkennt, für den hatten die Expert:innen am Ende ihres Vortrages noch einige Tipps: Als Teilnehmer:in hilft es zum Beispiel, wenn man sich während des Meetings Notizen macht, um aktiv bei der Sache zu bleiben. “Das verhindert in dieses passive ‘Ich-schau-nur-zu’, zu verfallen”, so Lübstorf.
Außerdem könne man bereits vor dem Treffen konkrete Rollen für das Meeting festzulegen: “Das ist wichtig, damit den Personen klar ist ‘Was ist eigentlich mein Beitrag, warum bin ich hier?'”, sagt Lübstorf. Es sollte vorab klar festgelegt sein, wer die Sitzung moderiert, wer Informationen liefert, wer als Diskussionspartner:in und wer als Expert:in aus einem bestimmten Bereich dabei ist. Auch die Agenda und die nötigen Informationen zum Vortrag sollten bereits im Vorfeld verteilt werden, damit sich die Teilnehmenden auf das Meeting vorbereiten und der Sitzung besser folgen können.
Schlaf ist übrigens keine Lösung gegen die Virtual Meeting Fatigue. “Schlaf und Ausruhen sind sogar kontraproduktiv”, sagt Reis. Ein Grund warum seiner Meinung nach mehr über Virtual Meeting Fatigue gesprochen werden müsste. “Das, was der Körper intuitiv machen möchte, also schlafen, hilft nicht”, so Reis. “Es geht eben nicht nur darum, einfach Pausen zu machen und sich zurückzuziehen, sondern es geht im Kern um die Struktur von virtuellen Meetings und wie wir an ihnen teilnehmen.”
Titelbild: Magnet.me / Unsplash