Der monumentale Dokumentarfilm von Ziad Kalthoum ist bis dato eines der bewegendsten Zeitzeugnisse des Syrienkriegs. Er zeigt den Alltag von Arbeitern, die aus ihrem Heimatland flüchten mussten und nun das vor 25 Jahren zerrüttete Beirut wieder aufbauen.
Ziad Kalthoum wurde 1981 in Homs geboren. Er studierte Film im russischen Wolgograd. Als der Krieg in Syrien ausbrach, floh er nach Beirut – und später weiter nach Berlin, wo er seit zwei Jahren als anerkannter Flüchtling lebt.
Das Thema
Die im Exil arbeitenden syrischen Bauarbeiter leben wie moderne Sklaven. Tagsüber bauen sie einen Wolkenkratzer, abends müssen sie in dessen Katakomben bleiben. Wer nach sieben Uhr außerhalb der Baustelle erwischt wird, wird bestraft.
Sie essen Thunfisch aus der Dose, schlafen auf dünnen Matten im kahlen Gemäuer, starren auf ihre Smartphones oder den Fernseher und hoffen auf gute Neuigkeiten. Ziad Kalthoum erzählt in einem Interview mit dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), dass sie jeden Tag immer wieder das Gleiche tun: aufwachen, essen, arbeiten, fernsehen, schlafen.
Von ihrem Gefängnisturm blicken sie auf die Stadt und hinaus auf das weite Meer. Es ist malerisch schön, aber für sie unerreichbar. Das pulsierende Panorama wird zu einem bloßen Gemälde, das sie nur betrachten können. Gefangen in diesem Limbus wird ihre Ohnmacht anhand des immer gleichen Tagesablaufs deutlich. Wie ein Spielball höherer Mächte wurden sie vom Krieg in eine sklavische Abhängigkeit getrieben. Gleichzeitig antizipieren sie ständig den zukünftigen Aufbau in ihrem Heimatland. Sie sehnen sich nach Frieden.
Die Kamera
Viele Einstellungen zeigen die Wolkenkratzer aus der Froschperspektive und veranschaulichen ihre Größe. Das metallene Skelett der Bauten ragt in den Himmel und wartet darauf, Stockwerk für Stockwerk mit einem steinernen Panzer geschützt zu werden. Wie eine Art Gefängnisgitter trennt es die Arbeiter von der Außenwelt. Dann sieht man wieder atemberaubend schöne Panoramaaufnahmen von der Spitze ihres Elfenbeinturms, der im nächsten Moment auch aus der Vogelperspektive in seiner Isolation gezeigt wird.
Die rührseligen Nahaufnahmen der gläsernen Augen der Arbeiter zeigen das Resultat dieser Isolation. Sie wirken entfremdet, fast schon gebrochen. Ihre durchdringenden Blicke zeugen von der Tristesse und dem Horror ihres Alltags. Dabei ist die Kamera so erbarmungslos wie das Leben auf der Baustelle selbst. Die Einstellungen ziehen sich teilweise in schmerzhafte Länge und werden in ihrer bedrückenden Monotonie fast wieder poetisch.
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Der Schnitt
Im Schnitt wird das Wechselspiel zwischen Zerstörung und Aufbau so eindrücklich wie nur möglich. Das Rohr eines syrischen Panzers schwingt synchron zum Arm eines libanesischen Krans, Schutt der eingestürzten Gebäude wird beiseite geräumt, während einige Hundert Kilometer entfernt neue Mauern aufgetürmt werden. Ein Zyklus wird deutlich, der sich schon seit Menschengedenken vollzieht und hoffentlich irgendwann zu einem Ende kommen wird.
Durch die bemerkenswerte Schnitttechnik wird metaphorisch das Leben im Kellergeschoss des Wolkenkratzers mit dem dumpfen Druck der Meerestiefe gleichgesetzt. Aufgewirbelter Staub blendet über in Luftblasen unter Wasser. Auf dem Grund liegt ein Kettenfahrzeug. Schwer zu sagen, ob es ein Panzer oder Bagger ist.
Der Ton
Interessanterweise ist der Ton genau das, was Ziad Kalthoum zu diesem Film bewegt hat. Als er von Syrien in den Libanon flüchtete, wachte er jeden Morgen vom Lärm der Baustelle auf und fühlte sich an die Geräuschkulisse des Krieges erinnert. Presslufthämmer dröhnen wie Maschinengewehre, Hammerschläge knallen wie Granaten. Diese Überschneidung greift der Film auf, so dass sich Kriegs- und Baustellenlärm in einer tosenden Spirale in die Gehörgänge des Kinobesuchers drehen. Man möchte sich die Ohren zuhalten, doch ist wie gebannt von der Paradoxie dieser unweigerlich verbundenen Gegensätze.
Der Text
Begleitet wird dieses meisterhafte Zusammenspiel von poetischen Texten voll Sehnsucht, Schmerz und Wehmut. Und erst hier entfaltet sich die Doppeldeutigkeit des Titels vollends. Aus dem Off erklingt eine gesetzte männliche Stimme. Man weiß nicht, wer es ist, da es den Arbeitern verboten war, während der Dreharbeiten zu sprechen. Aber der Mann erzählt in klangvollem Arabisch, wie schwer die Trümmer seines alten Hauses nach dem Einsturz auf ihm lasteten, und der Geschmack des Zements seine Gedanken zerfraß. Dasselbe trifft auch auf seine jetzige Arbeit auf der Baustelle zu. Ob dieser Kreislauf jemals aufhört? Nach diesem Film hofft man es.
„Taste of Cement“ ist ein Film voll trauriger Poetik, der den tobenden Krieg in Syrien von einer ungeahnt bewegenden Perspektive behandelt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der von dort geflüchteten Bauarbeiter verschmelzen zu einem dokumentarischen Meisterwerk. Die Poesie des elenden Schicksals der im Libanon arbeitenden Exilanten entfaltet sich auf fünf Ebenen, die jede für sich als Kunstwerk zu würdigen ist.