Rudolf B. hat als Triathlet viele Herausforderungen gemeistert. Vor seiner vielleicht schwersten steht er nun in seiner Funktion als Konrektor und Lehrer: Er muss seine zehnten Klassen trotz Corona für den Abschluss fit bekommen. Und das im Sprint.
Vor etwa einem Jahr hat Rudolf B. noch jeden Tag draußen trainiert. Täglich bereitete sich der 53-Jährige mehrere Stunden für den Triathlon in Roth vor. 42 Kilometer zu Fuß, 180 Kilometer mit dem Rad und vier Kilometer zu Wasser und das alles in nur 15 Stunden, dafür brauchte er Kraft und Ausdauer.
Die Ausdauer, die er sich erarbeitet hat, kann Rudolf B. auch heute in seiner Funktion als Konrektor an einer Realschule nahe Rosenheim gut gebrauchen. Und Langstrecke in möglichst kurzer Zeit: Das passt dieser Tage ebenfalls ganz gut, die zehnten Klassen sollen rechtzeitig zur Abschlussprüfung gut vorbereitet ins Ziel gelangen. Mit seinen Schülern konnte Rudolf B. bislang allerdings nur wenig arbeiten, seit am 16. März in Bayern die Schulen aufgrund der Corona-Pandemie schließen mussten.
Am 27. April kehrten die Abschlussschüler nun in die Klassenzimmer zurück. Doch die Auflagen sind streng. Zweifelhaft ist daher, ob ein erfolgreicher Endspurt gelingen kann.
Auf die digitale Lehre schlecht vorbereitet
FINK.HAMBURG hat 24 Menschen gefragt, wie sich ihr Leben durch die Corona-Krise verändert hat. Geführt haben wir die Gespräche via Skype, Zoom, im engsten Bekanntenkreis, denn wir mussten Abstand halten. Herausgekommen sind dennoch Nahaufnahmen von Hebammen, Lehrkräften, Krankenpfleger*innen, Studierenden. Sie zeigen, wie herausfordernd das Virus für den beruflichen und privaten Alltag ist und wie Neuanfänge gelingen.
Rudolf B., Anfang 50, über 1,90 Meter groß, ist charismatisch und körperlich extrem fit. Ein Typ, der jedes Problem besonnen angeht und dabei optimistisch bleibt. Für die momentane Situation der perfekte Mann. Trotzdem trafen auch ihn die Schulschließungen unvorbereitet.
“Das war einfach eine Situation, die noch keiner kannte. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie das jetzt digital funktionieren soll”, sagt er. Eigentlich gab es in Bayern bereits eine sogenannte Digitalisierungsoffensive. “Schon lange vor Corona hätte daher jeder Lehrer bei uns mit einem iPad ausgestattet werden sollen”, so Rudolf B., “das haben wir aber nicht bekommen.” Die ganzen Fortbildungen zu den digitalen Kanälen laufen erst seit Kurzem. “Letztendlich gab es einen einzigen Kollegen, der sich mit Mebis (digitale Lernplattform, Anm. d.Red.) schon auskannte”, sagt der Lehrer.
Rudolf B. ist ein echt-bayrischer Naturbursche und verbringt daher seine Zeit lieber an der frischen Luft als online. “Gerade mit digitalen Medien bin ich relativ zurückhaltend und am ersten Wochenende war Mebis auch noch total überlastet”, sagt er. “Meine Schüler hab ich zunächst über WhatsApp mit Arbeitsblättern versorgt.”
Trotz der Startschwierigkeiten findet der Lehrer einen Weg, seinen Zehnt- und Achtklässlern einen Wochenplan samt Übungsaufgaben zuzustellen. Für Rückfragen richtet er eine Telefonsprechstunde ein. Ein geregelter Rücklauf, um zu überprüfen, wie sehr seine Schüler bei der digitalen Lehre mitmachen, fehlt jedoch. “In dem Moment, wo wir keine Leistungsnachweise haben, wissen wir ja auch nicht, wie die Schüler eigentlich dastehen. Hat ein entsprechender Schüler wirklich das Jahrgangsziel erreicht?”, sagt Rudolf B.. Selbst wenn dieses Jahr noch alle beschult werden, sei es fraglich, ob eine Schulaufgabe oder eine Ex geschrieben wird. “Und selbst das wäre ja zu wenig“, sagt er. Er befürchtet auch, dass die Schüler im kommenden Jahr eine gute Ausrede haben, wenn Lehrer auf den Stoff aus diesem Halbjahr zurückgreifen. Seine Stimme klingt ein wenig resigniert.
Rudolf B. hat selbst drei Töchter, die noch zur Schule gehen und momentan zum Lernen alle einen eigenen Computer benötigen. Ihm ist klar, was das für Eltern bedeutet und dass wahrscheinlich nicht jedes Kind die technischen Voraussetzungen für die digitale Lehre erfüllt.
Dennoch gibt Rudolf B. alles, um seine Schüler auch daheim zum Lernen zu motivieren, bastelt sogar eigene Videos. Er entdeckt, wie einfach es ist, digitale Inhalte selbst zu erstellen. Und wie positiv diese von seinen Schülern angenommen werden. Bei Verständnisproblemen können die Schüler sich beispielsweise Videos mehrmals anschauen und so in ihrem individuellen Tempo lernen. “Sie haben gemeint, das könnten sie auch für den normalen Unterrichtsalltag gebrauchen”, sagt der Lehrer.
Rudolf B. weiß allerdings auch: Er hat Glück, denn er unterrichtet in diesem Schuljahr ausschließlich ältere Jahrgänge. “Ich weiß nicht, wie die Lehrer das in fünften und sechsten Klassen machen, weil die Kinder noch sehr klein sind”, sagt er. “Da kann man nicht sagen: Schaut euch mal das Video an und macht dann die Übung im Buch.”
Die Schulöffnungen kamen für ihn zu früh
Gab es einen Austausch zwischen den Lehrkräften an seiner Schule während der Zwangspause? “Von den fast fünfzig Lehrern weiß ich eigentlich nur von einer Handvoll, wie es denen geht und wie sie die Zeit verbracht haben”, sagt er.
Die Schulöffnungen zum 27. April haben Rudolf B. und seine Kollegen genauso überrumpelt wie die Schließungen. Eigentlich sollte in Bayern erst 14 Tage später Präsenzunterricht wieder zugelassen werden, ehe die Landesregierung den Termin dann kurzerhand vorzog.
Auch wenn die Schulöffnung unter strengen Auflagen erfolgte, ließ das Kultusministerium die Schulen mit der Umsetzung genauso allein wie mit der digitalen Lehre. “Als es hieß, dass der Schulbeginn am 11. Mai ist, habe ich mich gefreut, das schien vernünftig”, sagt Rudolf B.. Der neue Termin kam für ihn zu früh.
Der Einsatz von Mundschutz, wie die Schüler in das Gebäude kommen, wie sie sitzen, wie man die Klassen aufteilt, wie und was man unterrichtet – Rudolf B. musste für viele komplexe Probleme schnell Lösungen finden.
Ähnlich wie vor einem Jahr in Roth wird der Ausdauersportler auch für die nächste Zeit noch viel Kraft und einen langen Atem brauchen.
Titelfoto: Noémi Thoma