Früher Hausbesetzer und Guerillatourist in Lateinamerika, jetzt Filmemacher, Journalist und globaler Gentrifizierer. Wir haben mit Thomas Haemmerli gesprochen, der in seinem neuen Film durch Provokation zum Diskutieren anregen will.
Thomas Haemmerli geboren 1964, ist Journalist für Print und TV, drehte einige Kurzfilme, schreibt viele Kolumnen, entwickelt Konzepte sowie Kommunikationsaufträge aller Art, insbesondere TV- Inszenierungen für Abstimmungskampagnen.
FINK.HAMBURG: Herr Haemmerli, fühlen Sie sich wohl in Hotels wie dem Grand Elysée?
Definitiv. Ich bin in meinem Leben so viel gereist, da ist so ein Luxushotel natürlich angenehm. Aber es könnte genauso gut ein altes Sofa sein.
Ihre ambivalente Wohnsituation wird ja auch in „Die Gentrifizierung bin ich. Beichte eines Finsterlings“ sehr deutlich. Wo wohnen Sie derzeit?
Ich war eine ganze Weile in Zürich, um den Film fertigzumachen, aber ein Großteil wurde auch in Mexiko und Kolumbien geschnitten. In diesem nomadischen Leben versuche ich trotzdem mindestens drei Monate an einem Ort zu bleiben. Aber jetzt sind meine Kinder schon drei und vier Jahre alt und sie brauchen einen fixen Ort für ein geregeltes Schulleben. Das terrorisiert mich zwar ein wenig, aber es muss sein.
Wie kam es zu der subjektiven Erzählweise anhand Ihrer Wohnvita?
Ich wollte ursprünglich einen sachlich-politischen Film machen, aber meine Produzentin Mirjam von Arx überzeugte mich von einer persönlichen Herangehensweise. So kann man ganz anders arbeiten, obwohl man natürlich etwas Zeit verliert, um gewisse Probleme zu erklären. Wie ich meine Socken in einem Geschirrspüler wasche, hat mit Stadtentwicklung nicht wahnsinnig viel zu tun.
Sie sagten in einem Interview, dass es Ihnen wichtig ist, die Leute zum Lachen zu bringen. Wie viel Satire steckt also in Ihrem Film?
Viel. Meine persönliche Akademie bestand daraus, anarchistische MAD-Heftchen, Titanic und die Neue Frankfurter Schule zu lesen. Bei allem, was ich mache, versuche ich, die Menschen bloß nicht zu langweilen.
Welche Rolle spielt das Stilmittel der bewussten Provokation in dieser Sache? Sie führen beispielsweise die Emanzipation der Frau als einen Grund für die fortschreitende Gentrifizierung an. Und das, obwohl Sie wissen, dass Individualisierung, ökonomische Unabhängigkeit und verworfene Traditionen zutreffender sind, wenn man erklären will, warum es mehr Frauen gibt, die alleine in einer Wohnung leben.
Dass ich anstatt Individualisierung das Wort Emanzipation benutzt habe, ist definitiv meiner Lust an der Provokation geschuldet. Natürlich finde ich es gut, dass sich Frauen emanzipieren, aber ein Film muss radikal vereinfachen. Eines der knappsten Güter ist Aufmerksamkeit. Wenn man ab und zu so etwas einstreut, bleiben die Leute wach. Und durch eine Mischung aus Provokation, Satire und Humor kann man neue Diskussionen anstoßen – und genau darum ging es mir bei dem Film.
Wird bei dieser Art von Humor nicht die Ernsthaftigkeit des Themas etwas außer Acht gelassen? Immerhin ist Gentrifizierung ein großes Problem in vielen Städten – unter anderem auch in Hamburg.
Im Gegenteil. Weil etwas ein ernstes Problem ist, muss ich es nicht ernst erzählen. Die Frage ist ja: Wie schaffe ich es, dass mir überhaupt jemand zuhört? Und das passiert eher durch Unterhaltung. Wenn ich sage: Ich habe einen ernsthaften Film über ein ernsthaftes Problem gemacht, sagen die Leute, dass sie ihn gerne gesehen hätten, aber schauen an ihrem freien Abend lieber etwas Lustiges an. In diesem Kontext spielt für mich Max Webers Definition von Verantwortungs- und Gesinnungsethik eine große Rolle. Mir ist nicht wichtig, dass Sie das Gefühl haben, ich sei ein guter Mensch. Mich interessiert vielmehr, dass Sie darüber nachdenken, was ich sage.
Was haben Ihre Wohnorte in Brasilien, Georgien und Mexiko mit den xenophoben Nationalkonservativen oder den linken Gentrifizierungsgegnern der Schweiz zu tun, die Sie in ihrem Film angreifen?
Die Schweiz kann in Sachen Wohnungsbau einiges von diesen Ländern lernen. São Paulo ist eine vertikale Stadt. Da die nationalkonservativen Schweizer Angst vor zu großer Verdichtung durch Zuwanderung haben, kann man anhand von Hochbauten zeigen, dass es auch anders funktioniert. Die Linken hingegen haben den Reflex, dass Aufwertung direkt immer schlecht ist, weil das ärmere Bevölkerungsschichten verdrängt. Tiflis zeigt, dass ohne Aufwertung alles irgendwann auseinanderfällt. Und Mexiko passte perfekt in die Rahmenhandlung, weil ich dort in dem Hipsterviertel tatsächlich der böse Gentrifizierer war.
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Sie waren nun selbst einst linksradikaler Hausbesetzer und sagten in einem Interview, dass Sie eine mentalitäts- und ideologiegeschichtliche Entwicklung hinter sich haben: Wie wurde aus einem linksradikalen Hausbesetzer ein, wie Sie selbst sagen, gentrifizierender Yuppie?
Das ist eine relativ lange Geschichte, aber es gibt ein paar einschneidende Punkte. In der Jugendbewegung der 80er war die Arbeiterklasse in der Schweiz für uns nicht so interessant, weil alle gut verdient haben und die Vollbeschäftigung funktioniert hat. Die Befreiungs- und Guerillakämpfe in der Dritten Welt waren spannender, weil dort etwas passierte. Ich stellte mir vor, wie ich dort im Schützengraben mithelfe. Wenn man dann wirklich ein paar Bürgerkriege und die blutrünstigen Guerillakämpfer des Sendero Luminoso kennenlernt, dann fängt man an, die zwar sehr langweiligen und frustrierenden Mechanismen einer funktionierenden Demokratie zu schätzen.
Aber das macht Sie nicht gleich zum gentrifizierenden Yuppie, oder?
Man hat sich damals plötzlich für Markenartikel und Mode interessiert, aber auch das war immer ironisch gebrochen. Wir haben einfach alle wahnsinnig viel gearbeitet und wollten eine journalistische Karriere machen. Ich dachte damals mit Anfang 20, dass ich auf wichtigen Fragen immer die richtigen Antworten wusste, und wollte diese dann anderen mitteilen. Wenn man aber professionell in diesem Feld arbeitet, erkennt man, dass die Sachen oft wesentlich komplexer sind. So bin ich irgendwann ein braver Bourgeois geworden, der aus einer linksliberalen Perspektive dafür kämpft, dass es nicht schlechter wird und Probleme halbwegs rational anpackt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Lieber Lukas Schepers. Wie Film müssen auch Interviews stark reduzieren. Aber auf einer Änderung möchte ich bestehen. Wenn es heisst “blutrünstige Guerilleros” dann gehört da noch “des Sendero Luminoso” hinten dran. Weil es sonst so nicht zutrifft. Oder aber du streichst das “blutrünstig”. Besten Dank!
Lieber Herr Haemmerli, danke für den Hinweis. Wir übernehmen den Änderungswunsch! Viele Grüße