Die Illustration für diesen Artikel hat die HAW-Studentin Ruby Warnecke angefertigt.

Eigentlich hätte der Hamburger Winterdom vom 6. November bis 6. Dezember 2020 stattfinden sollen. FINK.HAMBURG hat mit dem Schausteller Sascha Belli über das Unterwegssein, Corona und gebrochene Domherzen gesprochen.

Von Kim Sichert und Marie Filine Abel

Das Heiligengeistfeld auf Hamburg-St.Pauli bleibt “Dom-frei”. Und das schon seit Anfang März – dem Beginn der Corona-Pandemie. Kein Frühlingsdom, kein Sommerdom und jetzt auch kein Winterdom. Das bedeutet: Kein Feuerwerk, kein Riesenrad, kein Autoscooter. Dieses Jahr gibt es weder bunte Lichter, laute Musik noch gebrannte Mandeln oder Lebkuchenherzen mit kitschigen Sprüchen. Vor allem aber: Keine Menschenmassen zwischen Achterbahnen, Karussellen und Imbissbuden. Für diesen Artikel heißt das leider auch: generische Stockbilder.

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Den Hamburger Dom, wie wir ihn kennen: Laut, bunt und viel besucht. Foto: Pixabay

Den ganzjährigen Verzicht auf den Hamburger Dom beklagen nicht nur die Besucher*innen des größten norddeutschen Volksfestes. Vor allem die Schausteller*innen leiden darunter. FINK.HAMBURG hat mit Sascha Belli, Vorsitzender des Landesverbands des Ambulanten Gewerbes und der Schausteller Hamburg e.V. (LAGS), gesprochen.

Achterbahn der Gefühle

Wir treffen uns mit Belli über ein Videokonferenz-Tool. Laut blechern klingt seine Stimme aus den Lautsprechern: “Der Dom, das ist eigentlich unser Leben.” Und genau deshalb hat  er auch Verständnis für die Entscheidung der Stadt Hamburg. Die Infektionszahlen seien einfach zu hoch, der Erreger bei kälteren Temperaturen zu aggressiv.

Schausteller Sascha Belli vor seiner Crêpe-Bude, Foto: Kim Sichert
Schausteller Sascha Belli mit seiner Crêpes-Bude vor der Elbphilharmonie, Foto: Kim Sichert

Belli hatte seine Achterbahn für den Winterdom schon aufgebaut. “Ich war da ganz schnell, weil ich mich so gefreut habe. Ich habe gemerkt, wie gut es mir damit ging. Und dann, wie schlecht es mir ging, als ich alles wieder zusammenpacken und wieder nach Hause musste – unverrichteter Dinge”, erzählt der 47-Jährige. Er ist mittlerweile schon seit 28 Jahren auf dem Hamburger Dom: Mit seinen beiden Crêpes-Ständen oder seiner Kinderachterbahn.

Den Dom kennt Belli schon seit Kindertagen. Seine Eltern waren ebenfalls im Schausteller*innengewerbe. Seit 1610 verdienen die Bellis auf Volksfesten wie dem Hamburger Dom ihr Geld. Schon als kleines Kind hat er aus seinem Bett im Wohnwagen das Feuerwerk beobachten können: “Ich glaube, ich habe so viele Feuerwerke gesehen, es gibt nur Feuerwerker, die mehr gesehen haben.”

„Der Schausteller kann alles. Zwar nichts richtig, aber er kann alles!“

Das Schausteller*innen-Dasein ist kein normaler Job: Es geht immer von einem Volksfest zum nächsten. Man ist immer auf Achse. In Spitzenzeiten hat Sascha Belli 40 Mal im Jahr die Schule gewechselt. Seiner jüngsten Tochter möchte er das ersparen. Die möchte Abitur machen und wird jeden Morgen zur Schule gebracht. Neben Großveranstaltungen wie dem Hamburger Dom oder dem Hafengeburtstag steht Belli auf allen Hamburger Straßenfesten, wie dem Osterstraßen- oder Eppendorfer Landstraßenfest. Die Standplätze sind umkämpft. Um mit anderen mithalten zu können, müssen seine Stände attraktiv bleiben – und das kostet: zum Beispiel die jährlichen Steuern für seine Anhänger, Farbe für den Anstrich oder die regelmäßigen Umsetzungen von neuen Sicherheitsanforderungen.

Schausteller*in zu sein, bedeutet Stress bei Wind und Wetter und immer da zu sein, wo es laut ist. Sie sind gleichermaßen Lebenskünstler*innen, Handwerker*innen und Monteur*innen, dafür muss man gemacht sein. Belli kann sich kein anderes Leben vorstellen: „Wenn man einen Beruf hat, mit dem man Leuten Spaß bereiten darf, das ist doch schön. Wer möchte nicht in freudige Gesichter gucken?“ Kommt er vom Dom zurück in seine eigenen vier Wände, kann er immer zwei Nächte nicht schlafen. Wenn der Rummel vorbei ist, sei es einfach viel zu ruhig.

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Das Heiligengeistfeld von oben, zwischendrin: Zahlreiche Wohnwägen der Schausteller*innen, Foto: Pixabay

Schausteller*innen halten besonders zusammen, weil sie gemeinsam nirgendwo wirklich zu Hause sind, so Belli. Es sei wie bei einer großen Familie. So ein bisschen Schausteller-Romantik komme auf, wenn die Kolleg*innen zusammen vor ihren Wohnwägen sitzen, bevor am nächsten Tag Tausende Menschen auf den Dom strömen. Dann wird der Grill angezündet, Bier geteilt und geklönt: Das sind für Belli die schönen Momente. “Und wenn das Fest dann vorbei ist und du im strömenden Regen abbaust, dann denkst du dir: Ach du Scheiße, was mach ich denn hier wieder für’n dummes Zeug?!” 

Da hilft auch das beste Hygienekonzept nicht

Um dieses Erlebnis auch zu Corona-Zeiten haben zu können, haben sich die Schausteller*innen in Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg ein Hygienekonzept überlegt – ein “spitzenmäßiges”, findet Belli: “Das hat der Senat anerkannt, dass es das beste Konzept ist, was sie überhaupt bis jetzt von irgendwem vorgelegt bekommen haben.”

Maximal 6.000 Menschen hätten das Heiligengeistfeld betreten dürfen, mit vorheriger Online-Registrierung. Desinfektionsspender wären überall verfügbar gewesen. Aber all das war chancenlos gegen die stark steigenden Infektionszahlen. Genau wie die Weihnachtsmärkte musste auch der Winterdom abgesagt werden: Jetzt sind die Schausteller*innen, wie viele andere Branchen auch, auf die Lockdown-Hilfen der Regierung angewiesen: Sie erhalten voraussichtlich 75 Prozent der Einnahmen des Vorjahres, zumindest für den November.

Deutschlandweit gibt es circa 5.000 Schausteller*innenfamilien. Sie alle stehen momentan vor großen Problemen: Nicht nur, dass sie ihre Arbeit nicht ausüben können, viele von ihnen beschäftigen Gastarbeiter*innen aus dem europäischen Osten. Die haben sich während der Krise selbstverständlich andere Jobs gesucht und stehen in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr für Aufbau und Montage auf dem Dom zur Verfügung.

Zwei Kolleg*innen von Belli wurden bei der Bank schon Kredite verwehrt. Der Bank sei es zu riskant gewesen, schließlich wisse ja niemand, wann Schausteller*innen wieder arbeiten dürfen.

Hoffnung für den Dom im kommenden Jahr

Mit einem weiteren (Teil-)Lockdown und stark ansteigenden Zahlen hätte Belli selbst niemals gerechnet. Mit Prognosen für den Dom im nächsten Jahr ist er deswegen vorsichtig. Trotzdem: Der Frühjahrsdom könnte zu 50 Prozent stattfinden, dem Sommerdom gibt er schon Chancen von 80 bis 90 Prozent.

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Wilde Fahrgeschäfte könnten nächstes Jahr wieder Ablenkung und Zerstreuung bringen, Foto: Tetiana Shevereva/Unsplash

Laut Belli sehnen sich die Menschen gerade in Krisenzeiten nach Ablenkung, nach schönen Stunden. Und wo kann man die besser erleben als auf dem Hamburger Dom? Die Schausteller*innen seien schließlich auch durch Krieg und Weltwirtschaftskrise gekommen. “In schlechten Zeiten muss man dem Volk was bieten!”, so Belli. Dafür zu sorgen: Für ihn und seine Kolleg*innen ist das die Lebensaufgabe.

Historisches über den Hamburger Dom:

Den Hamburger Dom gibt es schon seit dem 11. Jahrhundert. Seinen Namen hat er von seinem allerersten Standort: Im Hamburger Marien-Dom suchten damals Gaukler*innen, Händler*innen und Quacksalber*innen Schutz vor schlechtem Wetter.

Hier blieb der Dom, bis der Bau 1804 abgerissen wurde. Danach zogen Händler*innen und Schausteller*innen durch die Hamburger Stadtteile – ohne festen Standort. Den gibt es erst seit 1893: das Heiligengeistfeld.

Von da an vergrößerte sich das Fest immer mehr. Zum ursprünglichen Winterdom kam 1947 der Sommerdom hinzu und seit 1948 gibt es auch den Frühlingsdom. Mit diesen insgesamt drei Veranstaltungen ist der Hamburger Dom das größte Volksfest im Norden und sogar das insgesamt längste Volksfest der Welt.