Durch Corona ist die Klimakrise in den Hintergrund gerückt. Annika Kruse, eine der Sprecher:innen von Fridays for Future Hamburg, blieb auch während der Pandemie aktiv. Sie engagiert sich weiterhin für eine klimagerechtere Welt.
„Hopp hopp hopp – Kohlestopp!“ schreit Annika Kruse in ihr Megafon. „Hopp hopp hopp – Kohlestopp!“ brüllen Tausende Klimastreikende zurück. Es ist Freitag. Klimastreiktag. Unter dem Motto #AlleFürsKlima waren im September 2019 allein in Hamburg 100.000 Menschen auf der Straße – die bislang größte Klimademo. Corona hat Proteste dieser Art unmöglich gemacht. Um Fridays for Future ist es ruhiger geworden. Einige in der Bewegung sind weniger aktiv. Auf Annika trifft das nicht zu.
Annika schließt ihr Fahrrad ab und entschuldigt sich für die kleine Verspätung. „Radfahren in Hamburg habe ich mir echt angenehmer vorgestellt“, sagt sie und nimmt einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Erst seit zwei Wochen sei sie in Hamburg mit dem Fahrrad unterwegs. „Vielleicht muss ich doch wieder auf Bus und Bahn umsteigen“, fügt sie verschmitzt hinzu. Wir setzen uns auf die nächste Bank im Stadtpark. Es ist ein grauer, verregneter Tag. Für diese Jahreszeit auch viel zu kalt.
Fridays for Future Hamburg
Die Klimaaktivistin ist eines der Gesichter von Fridays for Future Hamburg – eine der größten Ortsgruppen. Telefonkonferenzen, Workshops und Webinare: Etwa drei bis vier Stunden investiert sie täglich in die Arbeit der Bewegung. Vor größeren Streiks und Aktionen können das auch mal bis zu zehn Stunden am Tag sein. „Man schläft dann halt mal nur drei Stunden in der Nacht. Nach der Aktion hat man dann genug Zeit, sich auszuruhen“.
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Als Sprecherin macht Annika viel Pressearbeit, organisiert aber auch Workshops und plant Aktionen, wie etwa den großen 1,5-Grad-Schriftzug auf der Mönckebergstraße. Eine hierarchische Aufgabenverteilung gibt es bei Fridays for Future ohnehin nicht: „Bei uns macht jede und jeder die Aufgaben, die gerade anstehen und auf die man Lust hat“.
“Früher oder später wird es uns alle betreffen.”
Dass das nicht Annikas erstes Interview ist, merkt man ihr sofort an. Auf viele Fragen reagiert sie mit leuchtenden Augen und einem breiten Grinsen. Ebenso präzise und entschlossen sind auch viele ihre Antworten.
„Wie bist du zum Klimaschutz gekommen?“ – bei Fragen wie dieser werden ihre Augen müde und schwer. Das soll sie vermutlich in jedem Gespräch beantworten. „Eigentlich war es Zufall“, sagt sie ganz trocken. „Es gibt viele wichtige Dinge auf der Welt, für die man sich einsetzen kann, aber der Klimaschutz ist so das Einzige, an dem keiner von uns vorbeikommen wird. Früher oder später wird es uns alle betreffen“, führt sie in einem Ton fort, der dem Ernst des Themas gerecht wird.
Die ersten Fridays for Future-Demonstrationen hätten sie „wachgerüttelt“. Als die Bewegung immer bekannter wurde und Annika sich immer mehr mit dem Klimawandel auseinandersetzte, war für sie klar: Ich will selbst etwas verändern. Im Frühjahr 2019 ging Annika das erste Mal für eine klimagerechtere Welt auf die Straße. Heute vergeht für sie kein Tag mehr ohne Fridays for Future.
Klimawandel im Religionsunterricht
Angefangen hat alles in ihrer Heimat, der Kleinstadt Winsen an der Luhe. Dort hat Annika zusammen mit Freundinnen die Fridays for Future-Ortsgruppe gegründet. Ihr Vorbild? Greta Thunberg und ihre Schulstreiks.
Pflege, Politik oder Sport: Viele Hamburger:innen zeigen gesellschaftlichen Einsatz – und das auf ganz unterschiedliche Weise. FINK.HAMBURG erzählt die Geschichten von 25 Menschen – etwa einem Rikschafahrer, der Senior:innen kutschiert oder einem Pfarrer, der Predigten im Internet versteigert. Das ist alles andere als langweilig, Ehrensache.
„Winsen ist unfassbar unpolitisch“, sagt Annika fast schon verzweifelt. Wie auch in vielen anderen Städten war das Wissen über den Klimawandel und dessen Auswirkungen in Winsen limitiert. Anstatt breiter Unterstützung sahen sich Annika und ihre Freund:innen mit Vorwürfen wie „aber ihr esst doch auch Fleisch“ oder „aber ihr besitzt doch alle ein Smartphone“ konfrontiert. „Winsen ist halt nicht Lüneburg. Wenn du da aufrufst, hast du sofort 1000 Leute, die alle mitmachen“.
Jeden Freitag die Schule schwänzen: Von dieser Idee war Annikas Mutter anfangs weniger begeistert. Aber mit der Zeit haben sich ihre Eltern damit abgefunden und sie unterstützt. Auch bei ihren Mitschüler:innen kam die Idee anfangs nicht so gut an. „Einmal habe ich meine Klasse zum Streiken aufgerufen, aber keiner ist mitgekommen – Mathe-Leistungskurs – kurz vor dem Abitur“. Zuspruch kam hingegen von der Mathelehrerin selbst, die die Proteste der Schulkinder guthieß.
“Am Anfang musste ich erst mal googeln, wie man eine Demo anmeldet.”
Was sie nach wie vor stört? Wie Klima- und Umweltthemen in der Schule behandelt werden. Bei ihr war der Klimawandel ausschließlich im Religionsunterricht ein Thema. Aber der Unterricht hat ihr Interesse geweckt. „Ich habe immer mehr zum Klimaschutz gelesen, mich damit auseinandergesetzt und bin dann schließlich auf eine Demo in Hamburg“, erzählt sie.
Als 17-Jährige Demonstrationen anmelden und organisieren, Presseanfragen beantworten und sich nebenbei noch mit den Behörden rumschlagen. Viele würde das in diesem Alter überfordern. Annika und ihre Freund:innen aus Winsen nicht. Wie das alles funktioniert, das wusste sie vorher auch nicht. „Da wird man dann einfach ins kalte Wasser geworfen. Am Anfang musste ich erst mal googeln, wie man eine Demo anmeldet“.
Der Ausgleich: Geige und Gesang
Annika saß für Fridays for Future schon auf mehreren Panels, hat vor großem Publikum Reden gehalten und lies sich für Fernsehbeiträge interviewen. Aufgeregt ist sie dabei selten. Mit ihrer Geige in der Hand sieht es ganz anders aus: „Vor Auftritten mit dem Orchester bin ich viel nervöser als vor Reden oder Interviews“, sagt sie. Derzeit spielt sie im Felix Mendelssohn Jugendorchester in Hamburg und hatte bereits mehrere Auftritte in der Elbphilharmonie.
Wenn Annika anfängt, über ihre Musik zu sprechen, entspannen sich ihre Gesichtszüge, ihre Körperhaltung wird lockerer. Ihre Leidenschaft für Musik wird nahezu spürbar. Geige spielt sie seit ihrem sechsten Lebensjahr. Außerdem übt sie Klavier und Klarinette. Zu den Instrumenten kommt noch der Gesang: Sie hat in verschiedenen Chören gesungen, hauptsächlich moderne Musik, und seit Kurzem ist sie Teil des Jugendchors der Hamburger Oper. Privat ist Annika großer Fan der Pop-Sängerin Taylor Swift. „Meine WG-Mitbewohner:innen sind, glaube ich, richtig genervt, weil ich zu Hause viel Taylor Swift singe“, erzählt sie und kann sich ein Lachen nicht verkneifen.
Über die Frage, ob ihre Familie musikalisch sei, denkt sie einen Moment nach. Annika atmet tief durch und nimmt noch einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Ihre Eltern hätten, als sie jung waren, keine Möglichkeit gehabt, Geigen- oder Klavierunterricht zu nehmen: „Das war zu teuer“. Umso mehr schätzt sie es jetzt, dass sie und ihre Geschwister dieses Privileg haben.
Klimaaktivismus während der Corona-Pandemie
Demonstrationen und andere Protestformen waren unmöglich: Corona hat der Klimabewegung viel von ihrem Schwung genommen. „2020 wäre ohne Corona ein wichtiges Jahr fürs Klima geworden. Es hat ja auch gut angefangen“, konstatiert Annika. Angefangen hatte das Jahr mit einer großen Klimademo in Hamburg und prominenten Gästen wie Annalena Baerbock, Greta Thunberg und Luisa Neubauer. Doch dann kam eben Corona.
An Klimastreiks und größere Treffen war erst mal nicht zu denken. Für Annika aber kein Grund aufzugeben. In ihrem Leben spielt Fridays for Future weiterhin eine große Rolle: Sie moderiert Webinare, beteiligt sich an coronakonformen Demonstrationen und plant Aktionen für die Zeit nach der Pandemie. Aber ihr fehlen die großen Demonstrationen: „Die Straße ist wichtig für uns, um weiterhin sichtbar zu bleiben“.
Der kalte Wind, der durch den Stadtpark weht, scheint Annika nicht zu stören. Kein Wunder: Im Hamburger Klimacamp schlief sie bei Minusgraden unter freiem Himmel. Zelte wurden von der Polizei untersagt: „Corona-Auflagen“ und dann zwischenzeitlich doch toleriert.
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Von einem Protestcamp mitten in der Hamburger Innenstadt waren die Behörden sowieso nicht allzu begeistert. Von Polizeikontrollen bis zu dem Verbot von Lichterketten in der Weihnachtszeit: „Uns wurden seitens der Stadt einige Steine in den Weg gelegt“, sagt Annika nüchtern. Die ein oder andere Nacht im Klimacamp bleibt ihr nur als „saukalt“ in Erinnerung.
Neben all dem Negativen kann Annika der Corona-Pandemie aber auch etwas gute abgewinnen: „Mein Vater war geschäftlich immer viel unterwegs. Wir haben uns endlich mal über einen längeren Zeitraum gesehen und haben als Familie eine schöne Zeit gehabt“.
Auf die nächsten Wochen und Monate blickt Annika zuversichtlich: „So wie es aussieht, können wir bald wieder demonstrieren gehen. Außerdem steht die Bundestagswahl bevor, bei der ich zum ersten Mal wählen darf. Das werden spannende Monate“. Denn auch wenn die eine Krise bald bewältigt sein könnte, die andere ist nach wie vor da: der Klimawandel.
Titelfoto: Carl Egge