Von analog zu digital, von kurz zu lang – es hat sich einiges geändert, seit das Filmfest Hamburg im Jahre 1992 erstmals stattfand. FINK.HAMBURG blickt zurück auf 30 Jahre Filmfest und hat mit Filmvorführern und dem aktuellen Festivalleiter gesprochen.
Von Valentina Rössel und Francine Sucgang
Titelbild: Filmfest Hamburg
“Als das Filmfest Hamburg das erste Mal stattfand, war es noch komplett analog”, erzählt Carsten Knoop im Vorführraum des Metropolis Kinos, umgeben von Computern, Kabeln und den blinkenden Knöpfen der Tonanlage. “Es gab keine digitalen Vorführungen, höchstens mal eine Videokassette.”
Knoop, Kinotechniker im Metropolis Kino und Gründer des Lichtmeß Kinos in Ottensen, ist seit etwa 1995 beim Filmfest Hamburg im Einsatz. Als Kopienkontrolleur überprüfte er alle Filmrollen der gezeigten Filme einzeln auf ihre Vollständigkeit. Bei rund 130 Filmen mit je vier bis sieben Rollen kommt da einiges zusammen. “Am Ende des Filmfests mussten wir nochmal alle kontrollieren und wieder versenden”, so Knoop.
“Heute nutzen wir im Kino hauptsächlich ‘Digital Cinema Packages’ – eine Art Festplatte. Das hat vieles vereinfacht”, erklärt Knoop. Kontrolliert werden die Festplatten heute auch noch, das gehe allerdings wesentlich schneller.
Rund 3000 Filme in 30 Jahren
Im Jahr 2022 feiert das Filmfest Hamburg seinen 30. Geburtstag. In zehn festen Sektionen zeigt das Filmfest Hamburg jedes Jahr im Herbst um die 130 Filme. Etwa 3000 deutsche, europäische und internationale Produktionen feierten hier ihre Premieren. Neben bekannten Regisseur*innen zeigen auch viele junge Filmemacher*innen ihre Werke in Hamburgs Kinos. Und auch deutsche TV-Produktionen erhalten einen Platz auf der großen Leinwand.
1992 fand das erste Filmfest Hamburg statt, damals unter Leitung von Rosemarie Schatter, die heute unter anderem das Programm der Düsseldorfer Filmnächste verantwortet. Ihr folgten der spätere Geschäftsführer der Senator Filmproduktion Gerhard von Halem (1994) und Josef Wutz (1995–2002), der heute über sein Kunstprojekt Aries Photos beiläufige Alltagsimpressionen verbreitet. Seit 2003 leitet der polnische Filmwissenschaftler und Filmmanager Albert Wiederspiel das Filmfest. Ob es für ihn in all den Jahren ein Highlight gab? “Nein. Das Schöne beim Filmfest ist, dass jedes Jahr etwas Neues passiert. Jedes Jahr ist am schönsten”, sagt Wiederspiel.
Zehnmal so viele Besucher
In fünf Kinos werden die Filme des Filmfest Hamburg ausgestrahlt: dem Abaton, Metropolis, Passage Kino, Studio-Kino und im großen Cinemaxx am Dammtor. Kleinere Kinos wie die Alabama und Zeise Kinos waren ebenfalls fester Bestandteil des Filmfests. Heute werden dort nur noch vereinzelt Werke im Rahmen der “Filmfest ums Eck”-Serie gezeigt.
“Früher waren die Kinos über die ganze Stadt verteilt”, erinnert sich Knoop. Heute liegen die teilnehmenden Kinos näher beieinander – die meisten in der Innenstadt. Das kommt vor allem den Filmfestbesucher*innen zu Gute. In den letzten Jahren sind die Besucher*innenzahlen stetig angestiegen: Inzwischen sind es jährlich circa 45.000. Das sind zehn Mal so viele als noch vor 30 Jahren.
Das Filmfest ist für die Kinos auch eine symbolische Veranstaltung: “Es ist der Startschuss für die gemütliche Kinozeit im Herbst”, sagt Jasper Koch. Er arbeitet seit 25 Jahren im Abaton. Angefangen als Nebenjob während seines Studiums, ist Koch heute Leiter des Kinobetriebs. “In den Tagen vom Filmfest haben wir ein spezifisches Publikum. Viele Menschen kommen speziell fürs Filmfest in unsere Kinos”, sagt er.
Früher waren noch Kurzfilme unter der Filmauswahl. Heute zeigt das Filmfest Hamburg hauptsächlich Langfilme. Mainstream ist es trotzdem nicht, findet Knoop: “Seit die kleinen Kinos weggefallen sind, gibt es zwar weniger experimentelle Filme. Für alle Geschmäcker ist trotzdem immer etwas dabei.”
Filmfest Hamburg oder Berlinale
Auf dem Filmfest Hamburg laufen auch Filme, die es nie ins deutsche Kinoprogramm schaffen werden. Außerdem ist das Filmfest Hamburg kein Premierenfestival – die Filme können also schon auf anderen Festivals gezeigt worden sein.
Die Berlinale, die jährlich im Februar stattfindet, zeigt ausschließlich Filmpremieren. “Leider gibt es Filmemacher, die deshalb auf die Berlinale warten, anstatt ihre Filme auf dem Filmfest Hamburg zu zeigen”, sagt Filmvorführer Knoop. Aber zum Glück sei das nicht bei allen so: “Fatih Akin zum Beispiel ist immer ein Freund des Filmfests gewesen. Er wartet nicht auf die Berlinale, er zeigt seine Filme in Hamburg”, sagt Knoop. Im Herbst 2022 feierte Akins Film “Rheingold” (2022) seine Weltpremiere auf dem Filmfest Hamburg.
Clint Eastwood in Hamburg
In 30 Jahren sind viele prominente Vertreter*innen der Branche über den roten Teppich gelaufen: Bekannte deutsche Schauspieler*innen wie Heike Makatsch und Jürgen Vogel, aber auch internationale Berühmtheiten wie der Independent-Regisseur Jim Jarmusch (“Only Lovers Left Alive”) sowie die Regisseure Clint Eastwood (“Million Dollar Baby”) und der Brite Stephen Frears (“Dirty Pretty Things”), die jeweils mit einem Preis auf dem Hamburger Filmfest geehrt wurden.
„In einem Jahr war auch Sophia Loren auf dem Filmfest Hamburg. Da war die ganze Brücke vor dem Cinemaxx am Dammtor voller Paparazzi“, so Wiederspiel, der sich am Eröffnungstag des Filmfest 2022 an diese Situation erinnert, während ungefähr genau an der Stelle des roten Teppichs steht, an dem sich damals auch Sophia Loren fotografieren ließ.
Bild 1: Kino-Besucher*innen im Cinemaxx Dammtor (1997)
Bild 2: Sophia Loren auf dem roten Teppich
Bild 3: Jürgen Vogel und Sebastian Schipper
Bild 4: Katja Riemann (rechts) und Kolleg*innen
Bild 5: Stephen Frears gewinnt 1996 den Douglas Sirk Preis
Die Große Ehre auf dem Filmfest Hamburg
Der am längsten vergebene Preis im Rahmen des Filmfest Hamburg ist der Douglas Sirk Preis, benannt nach dem gebürtigen Hamburger Filmemacher. Seit 1995 wird jedes Jahr eine Persönlichkeit ausgezeichnet, die einen besonderen Beitrag zur Filmkultur und zur Filmbranche geleistet hat. Clint Eastwood war 1995 der Erste, der die Statuette entgegennahm. Ihm folgten unter anderem Jodie Foster (1997), Gérard Depardieu (2006), Fatih Akin (2014) und Catherine Deneuve (2015).
In den Jahren 2009 und 2016 fiel die Preisverleihung aus, 2022 fand sie ebenfalls nicht statt. Grund dafür sind dieses Jahr die Vorwürfe gegen die Produktionsbedingungen des Films “Sparta”, dessen Regisseur Ulrich Seidel ursprünglich als Preisträger ausgewählt wurde. Der Film lief trotzdem im Rahmen des Filmfest im Kino, auch der Regisseur war in Hamburg zu Gast.
Michel: Ein Filmfest für Kinder und Jugendliche
Ein weiteres Jubiläum feierte das Michel Kinder und Jugend Filmfest: Dieses Jahr fand das parallel laufende Filmfest für junge Kinobesucher*innen zum 20. Mal statt. Eingeführt von Albert Wiederspiel zu Beginn seiner Zeit als Filmfestleiter, laufen hier seit 2003 Animations- und Spielfilme. “Kinder und Jugendliche werden hier nicht nur an den Film, sondern an den spezifischen Ort Kino herangeführt”, so Theaterleiter Koch. Eine Kinder- und Jugendjury wählt jedes Jahr ihren Lieblingsfilm. Besonders sei auch, dass Filme nicht nur auf Deutsch gezeigt werden. Es gibt viele Filme, die in Originalsprache laufen und live im Kino synchronisiert werden. “Dieses Jahr gab es zum Beispiel den ukrainischen Film ‚Stop-Zemlia‘.”
Pannen und Pandemie überstanden
Einige Pannen gab es in all den Jahren natürlich auch. Insbesondere das Filmfest 1999 ist Knoop in Erinnerung geblieben: Der Eröffnungsfilm war damals “Absolute Giganten” von Sebastian Schipper. Ein 70 Minuten langer Hamburgfilm – das bedeutete vier Filmrollen. “Der Film kam frisch vom Kopierwerk, allerdings hatten wir nur drei Rollen. Zum Glück konnten wir die vierte Rolle noch bekommen. Sonst hätte der Vorführer im Cinemaxx vor ausverkauftem Haus ein großes Problem gehabt.”
Ausgefallen ist das Filmfest Hamburg übrigens nie. “Auch wenn die Pandemie wohl die größte Herausforderung war, die die Kultur in den letzten Jahrzehnten überwinden musste,” sagt Koch. In den Jahren 2020 und 2021 fand das Filmfest in reduzierter Form statt. “2020 hatten wir im Abaton ungefähr ein Drittel der Plätze vergeben, 2021 jeden zweiten Platz. So freuen wir uns umso mehr, dass wir 2022 wieder jeden Platz füllen konnten”, sagt Koch.
Ähnliches erzählt auch Carsten Knoop vom Metropolis Kino: “Die Filmtage sorgen natürlich immer für Festivalstimmung und bringt immer viele Zuschauer!” Ein Blick vom Vorführraum am Projektor vorbei in den Kinosaal zeigt in der Tat: volles Haus.