“How To Blow Up A Pipeline” brachte auf dem Filmfest Hamburg eine extreme Version des Klimaaktivismus auf die Kinoleinwand. Regisseur Daniel Goldhaber sprach mit FINK.HAMBURG über seinen Thriller und was wir aus ihm lernen können.

“Luisa Neubauer überschreitet rote Linie mit Terror-Witz”, titelte “Bild” vor vier Monaten. Grund dafür war eine Instagram-Story, in der Neubauer darüber scherzte, wie sie mit anderen Aktivist*innen plant, eine Pipeline in die Luft zu jagen – ein Kommentar, der kurzzeitig und besonders bei Twitter Wellen geschlagen hat. Der mittelmäßig gelungene Witz wurde zur Einladung für reißerische Titelzeilen.

Neubauer sagt, sie habe sich auf ein 2020 in Deutschland erschienenes Buch bezogen: “Wie man eine Pipeline in die Luft jagt” – ein politisches Manifest des schwedischen Autors Andreas Malm. Die Lektüre inspirierte auch Personen, die sich nicht selbst als Aktivit*in bezeichnen, zu Output: Im Oktober 2022 feierte ein Thriller auf dem Filmfest Hamburg Europaprämiere, der in Zusammenarbeit mit Malm entstand. “How To Blow Up A Pipeline” von Daniel Goldhaber gewann den politischen Preis der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Daniel Goldhaber ist amerikanischer Autor, Produzent und Filmemacher. “How To Blow Up A Pipeline”  ist nach zahlreichen Kurz- und Werbefilmen sein insgesamt zweiter Langfilm, nach dem 2018 erschienenen “Cam“. Goldhaber studierte Visual and Environmental Studies an der Harvard Universität in Cambridge, Massachusetts. Seine Eltern sind Klimawissenschaftler. Goldhaber arbeitete außerdem als Redaktionsassistent bei der oskarnominierten Dokumentation “Chasing Ice” – seine Anfänge in der Dokumentationsarbeit der Klimakrise.

“How To Blow Up A Pipeline” folgt einer Gruppe von acht Aktivist*innen in die texanische Einöde, die den Ansatz aus Malms Buch in die Tat umsetzen wollen: Um die Klimakrise aufzuhalten, müssen sie die verwundbarsten Glieder in der Distributionskette fossiler Infrastruktur angegreifen – also Kohlekraftwerke, Erdgasförderanlagen oder Ölpipelines.

Minutiöses Bombenbauen, zeitliche Feinstabstimmungen und gewaltige körperliche Anstrengungen ergeben eine Handlung, die das Publikum mit Fragen zurücklässt: Sind Klimaaktivst*innen zu radikal in ihren Forderungen oder noch lange nicht radikal genug in ihren Durchsetzungsmethoden? Wieviel kann eine Einzelperson ausrichten?


“Oceans Eleven für Öko-Terrorismus”

FINK.HAMBURG hat Daniel Goldhaber, Regisseur und Produzent des Films, einen Tag nach der Premiere im Passage-Kino getroffen. Er spricht unter anderem über die Relevanz seiner Arbeit, die Umsetzung der Ideen aus Malms Buch und die Arbeit am Set im eisigen Winter North Dakotas.

FINK.HAMBURG: Siehst du dich selbst als Aktivist?

Daniel Goldhaber: Nein, ich bin Filmemacher. Ich bin mit Aktivisten befreundet und ich denke, es ist sehr wichtig, Aktivisten und Aktivismus generell zu unterstützen. Aber ich glaube auch, dass Filmemacher oft den Fehler machen, zu denken, dass einen Film darüber zu produzieren das Gleiche sei, wie die Sache wirklich zu tun. Wenn die Zuschauer*innen durch diesen Film dazu inspiriert werden, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, ist das großartig. Das macht mich aber noch nicht zu einem Aktivisten. 

Vergesst die einzelnen Menschen. Konzentriert euch auf die Infrastruktur. Das ist ein Ziel, das gerechtfertigt ist.

Der Film basiert auf einem politischen Manifest. Welche Motivation gab es für dich, genau dieses Projekt anzugehen?

Daniel Goldhaber: Ich wollte schon immer einen Film über eine jugendliche Revolution machen. Und die Inspiration kam in der Sekunde, in der ich und meine Mitarbeitenden das Buch gelesen haben. Das war ein richtiger Aha-Moment. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass das Buch ein Ziel formuliert – nämlich die Maschinen selbst. Malm sagt darin: “Vergesst die einzelnen Menschen. Konzentriert euch auf die Maschinen, konzentriert euch auf die Infrastruktur. Das ist ein Ziel, das gerechtfertigt ist.”

Andreas Malm und Daniel Goldhaber auf dem roten Teppich von How To Blow Up A Pipeline.
Auf dem roten Teppich von “How To Blow Up A Pipeline”: Autor und Ideengeber Andreas Malm (links) und Regisseur und Produzent des Films Daniel Goldhaber (rechts). Foto: Martin Kunze

19 Monate nach dem ersten Brainstorming lief “How To Blow Up A Pipeline” zum ersten Mal auf der großen Leinwand. Das ist in Filmmaßstäben gesprochen eine relativ kurze Zeit. Warum habt ihr euch so beeilt?

Daniel Goldhaber: Ich war in den USA für ein Jahr lang aufgrund der Corona-Pandemie eingesperrt, während das Land sehr turbulente Zeiten durchlebte. Ich wollte wieder etwas schaffen, das sich relevant anfühlt.

Hinzu kommt, dass meiner Meinung nach Filme früher oft schneller gemacht wurden und deshalb besser auf aktuelle Ereignisse und reagieren konnten. Das machte sie relevant. Filmproduktionen heute sind viel langsamer und deshalb weniger relevant für aktuelle Probleme. Das gilt besonders in der Konkurrenz mit sozialen Medien wie TikTok, Instagram, Youtube oder Twitter. Die können so schnell auf das reagieren, was gerade passiert. Ich wünschte, mehr Studios und Finanziers wären sich dessen bewusst.

Basierend auf wahren Geschichten

Ein Großteil des Films spielt im Winter in der Einöde North Dakotas oder New Mexicos. Das sind nicht gerade die lebensfreundlichsten Gegenden. Wie schwierig war die Produktion?

Daniel Goldhaber: Es war definitiv das Schwierigste, was ich je gemacht habe. Die Bedingungen am Set waren sehr schlecht. Wir haben anderthalb Stunden von der nächsten Stadt entfernt gedreht, im Nirgendwo, in der Dezemberkälte, mit sehr wenig Drehzeit und sehr wenig Licht.

Der Film wurde außerdem auf analogem Film produziert. Das heißt, wir hatten keine Zeit für Proben. Die Schauspieler*innen waren erschöpft, die Stunts gingen schief, die Autos gingen kaputt. Wir haben trotzdem weitergemacht. Darum geht es auch im Film: Die Hauptcharaktere entscheiden nicht leichtfertig. Die Aktion kommt tief aus ihrem Inneren. Dem wohnt eine gewisse Energie inne. Diese Energie haben wir auch beim Dreh gefühlt.

Die Protagonist*innen des Films "How To Blow Up A Pipeline" um ein Lagerfeuer versammelt.
Die Aktivist*innen im Film “How To Blow Up A Pipeline”: Das letzte Abendessen, bevor der Plan am nächsten Tag in die Tat umgesetzt werden soll. Für manche könnte es das letzte sein. Foto: Filmfest Hamburg

Alle Charaktere im Film haben eine bestimmte Hintergrundgeschichte, die sie in diese Situation gebracht hat. Hat “How To Blow Up A Pipeline” in der Hinsicht einen Anspruch auf Vollständigkeit?

Daniel Goldhaber: Ich würde nicht sagen, dass der Film in irgendeiner Weise maßgebend oder vollständig ist. Eine unserer frühen Ideen war die, uns den Figuren im Film so zu nähern, dass theoretisch wir mit unseren Freund*innen losziehen und die Pipeline in die Luft jagen. Viele der im Film erzählten Geschichten stammen aus erster Hand, aus dem Umfeld von Autor*innen und des Casts. Wir haben uns also nicht alles ausgedacht, sondern wollten sichtbar machen, was um uns herum passiert.

“How To Blow Up A Pipeline”: Ist das Propaganda?

Was ist die Nachricht, die die Zuschauer aus dem Film mitnehmen sollten? Etwa: Auf geht’s, Dynamit eingepackt und ab in Richtung der nächsten Ölraffinerie?

Daniel Goldhaber: Die Idee von “How To Blow Up A Pipeline” war es, einen unterhaltsamen und provokativen Blick auf junge Menschen zu werfen, die ihre Zukunft verteidigen. Ich denke, es geht nicht um die Frage, was das Publikum tun soll. Der Film soll nicht polemisch oder propagandistisch wirken. Wir wollten dem Publikum eine emotionale Identifikation bieten und dann die Zuschauer zu bitten, daraus zu machen, was sie wollen.

Es besteht ein Unterschied darin, dem Film eine Botschaft entlocken zu wollen oder zuu sagen: “Das ist ein Film über acht Charaktere, mit denen sich das Publikum identifizieren kann”, wie es ganz Besonders in der Kunst und Kultur der Fall ist. Das ist das Wichtigste.

FINK.HAMBURG: Zuletzt noch: Im Film wird sehr minutiös eine Bombe gebaut. Du bist Mitautor des Skripts und Produzent. Wärst du inzwischen in der Lage, die Bombe nachzubauen?

Daniel Goldhaber: Ohne mich selbst dabei in die Luft zu sprengen? Wahrscheinlich nicht.

Das Interview in diesem Artikel wurde stark zusammengefasst. Er basiert auf dem dazugehörigen Youtube-Video, das eine vollständigere Version des Interviews bietet und in den Beitrag eingebettet wurde.