Urban Gardening in Hamburg.
Die Gartendeck-Beete mitten in Hamburg. Foto: David Daub, 2015

Anwohnende lieben ihr turbulentes St. Pauli – trotzdem brauchen sie auch mal Ruhe von dem Trubel. Die finden sie beim Urban Gardening. Melina Deschke hat sich zwei mögliche grüne Oasen mitten auf dem Kiez angesehen.

Auf dem Tisch im Wohnzimmer steht eine Teekanne mit frisch aufgegossenem Ingwer, daneben ein kleines Glas Honig. “Von den Bienen aus unserem Garten”, sagt Lea Ring. Der Garten, von dem sie spricht, liegt weder hinter ihrem Haus, noch ist es ein Schrebergarten vor den Toren Hamburgs. Ein wenig versteckt, nur ein paar Meter hinter den Clubs und Diskotheken der Großen Freiheit, haben Anwohnende auf St. Pauli einen Gemeinschaftsgarten Mitten auf dem Kiez gegründet.

Auf dem Dach eines ehemaligen Parkhauses stehen Bänke, Blumenkästen und Bienenstöcke anstelle von Autos, Abfall und Altglas. Das Gartendeck entstand temporär im Rahmen des Kampnagel Kultursommers 2011 – ist aber einfach geblieben. Seit 2012 gärtnert auch Lea Ring dort mit. “Ich finde es sehr schön, dass ich dadurch in Kontakt mit Menschen verschiedener Altersklassen komme”, sagt sie. Als Studentin sei das sonst eher selten. “Die Menschen gärtnern aus den unterschiedlichsten Gründen bei uns mit.” In erster Linie gehe es um die Lust am Urban Gardening. Aber auch Bildung spiele eine zentrale Rolle – sowohl die eigene als auch die von Kindern.

Ein improvisiertes Gewächshaus auf dem Gartendeck. Foto: David Daub, 2015

Kampf um den Kiez

Neben dem Gärtnern beschäftigen sich die HobbybotanikerInnen auch mit Stadtpolitik. Die Urban-Gardening-Bewegung wehrt sich gegen die fortschreitende Bebauung der Innenstädte und will Orte der Erholung für Anwohnende schaffen. “Wir sind Teil des Recht-auf-Stadt-Netzwerkes und als Garten in so einer umkämpften Gegend schon auch in gewisser Weise ein Statement”, erzählt Ring stolz. Und das zu recht, denn der Kiez ist beliebt – um eine Flächen, wie die des Gartendecks, reißen sich die Investoren. 

Die GärtnerInnen bewegten sich dabei immer in einem legalen Rahmen. Der Nutzungsvertrag mit der halb städtischen Verwalterin, der Sprinkenhof GmbH, ist jedoch an Auflagen geknüpft. So ist es zum Beispiel verboten, auf dem Parkdeck zu übernachten. Das wurde in der vergangenen Saison zu einem Problem. Immer wieder hätten Obdachlose auf den Bänken des Gartendecks geschlafen. Ring erklärt sich das mit der Vertreibung der Wohnungslosen. “In St. Pauli haben Säuberungsaktionen stattgefunden”, sagt sie. Die GärtnerInnen wären in diesem Jahr weniger präsent gewesen, weshalb eine Nische freigeworden sei. “Wenn jemand weggeht, dann kommt jemand anders nach.”

Doch das ist nicht der Grund dafür, dass die GärtnerInnen schlussendlich den Kampf um dieses Areal verloren haben. Schon 2013 sollte das Grundstück, auf dem das Parkhaus steht, eigentlich bebaut werden – doch lange ist nichts passiert. “Wir haben keine klaren Ansagen von der Grundstücksverwaltung bekommen und mussten immer befürchten, dass die nächste Saison unsere letzte sein könnte”, sagt Ring und nimmt einen Schluck von ihrem Ingwertee mit St.-Pauli-Bienenhonig. Da, wo jetzt noch Beete stehen, sollen bald Wohn- und Gewerbeblöcke gebaut werden.

Urban Gardening auf dem Kiez: Beete statt Autos auf dem Parkdeck.
Beete statt Autos: Das Dach des ehemaligen Parkhauses wurde 2011 zu einem Gemeinschaftsgarten. Foto: David Daub, 2015

“Urban Gardening auf St. Pauli ist sexy”

Die Garten-Saison ist vorbei, viel zu tun gebe es aber trotzdem noch. Das Gartendeck müsse schließlich rechtzeitig zur neuen Saison umgezogen sein. Denn: Die GärtnerInnen haben eine neue Fläche gefunden, nicht weit entfernt von dem Parkhaus. Für viele Anwohnende dient der Gemeinschaftsgarten als Ausgleich zum Trubel, der jedes Wochenende auf dem Kiez Einzug hält. Deshalb war es ihnen wichtig, dass das Gartendeck im Viertel bleibt und nicht etwa nach Niendorf umzieht. St. Pauli sei, laut Ring, genau der richtige Ort für einen Gemeinschaftsgarten: “Urban Gardening ist erst dann sexy, wenn man das in einer Gegend macht, die auch urban ist.”

Einen Nutzungsvertrag für die das Areal hinter dem ehemaligen israelitischen Krankenhaus in der Simon-von-Utrecht-Straße gebe es noch nicht, aber immerhin eine mündliche Zusage der Stadt. “Wir sind gerade am Aufräumen und freuen uns über jede helfende Hand. Das ist echt ganz schön viel Erde, die wir da noch runter bewegen müssen.”

Grün statt Grau

Erde rauf bewegen möchte Urte Ußling. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin des Projekts Hilldegarden hat die Vision eines ganzen Stadtparks mitten auf dem Kiez – und zwar auf dem Dach des Medienbunkers in 38 Metern Höhe. Läuft man von dem zukünftigen Standort des Gartendecks die Simon-von-Utrecht-Straße entlang Richtung Osten kommt man zum Millterntorstadion. Direkt dahinter, nicht zu übersehen, steht er. Der große graue Klotz, ein Flakturm aus dem Zweiten Weltkrieg, überragt den gesamten Stadtteil. Wenn es nach Urte Ußling geht, dann ist der Bunker bald nicht mehr grau, sondern grün.

Zwischen 1942 und 1944 wurden insgesamt vier solcher Türme in Hamburg gebaut, erhalten sind nur die beiden Flaktürme in den Stadtteilen St. Pauli und Wilhelmsburg. Eine Sprengung nach Ende des Krieges hätte die umliegenden Gebäude beschädigt. Nachdem der Flakturm an der Feldstraße in St. Pauli aufgrund des Wohnungsmangels in Hamburg zunächst an Privatpersonen vermietet worden war, zogen um 1990 die ersten Medienunternehmen ein. Seither ist der Turm in Hamburg als Medienbunker bekannt.

Urban Gardening auf dem Bunker an der Feldstraße.
Testbeete auf dem Kragen des Bunkers. Foto: Melina Deschke

Anbauen mit Ausblick

Mit dem Aufzug geht es in den fünften Stock. Nachdem Urte Ußling die dritte schwere Metalltür aufschließt, fällt blendendes Tageslicht in den schmalen Gang. Draußen weht ein kalter Wind. “Von hier oben hat man den besten Blick der Stadt”, sagt Ußling. Links die Elbphilharmonie, rechts der Fernsehturm, geradeaus das Heiligengeistfeld, dahinter irgendwo das Gartendeck. Bald sollen alle HamburgerInnen diesen Ausblick genießen können.

Der Hilldegarden soll nicht nur ein Gemeinschaftsgarten, sondern ein ganzer Park mit mehreren Etagen werden. Um das gewährleisten zu können, organisieren sich die freiwilligen HelferInnen in Arbeitsgruppen. Eine Gruppe kümmert sich um den Außenbreich, eine andere um die Gestaltung eines Gedenkorts mitten im Park. “Energie und Kreisläufe” beschäftigt sich mit den Möglichkeiten von Solar, Wind- und Bioenergie. Dafür, dass all die Ideen auch wirklich von der Bauleitung umgesetzt werden, sorgt die Arbeitsgruppe “Prozess”.

Ein Insektenhotel in Form des Bunkers.
Ein Insektenhotel in Form des Bunkers. Foto: Melina Deschke

Zusätzlich zu der Parkanlage sollen auch im Inneren des Bunkers etwas entstehen. Die Bunkerhillgallerie-Gruppe organisiert zum Beispiel Vernissagen und Kunstausstellungen, die jetzt schon in dem Vorraum stattfinden. Andere planen ein Küchenstudio, in dem die selbst angebauten Produkte gemeinsam gekocht werden sollen. Bisher stehen auf dem Dach des Gebäudes nur vereinzelte Testbeete. Darin erproben die ehrenamtlichen HelferInnen, wie Pflanzen dem Wind in dieser Höhe standhalten. Ußling erklärt, dass auch der fehlende Schatten ein Problem für die Pflanzen sein kann und deshalb womöglich mehr gegossen werden müsse.

Dächer des Großstadtdschungels

Trotz der Probleme hält Ußling Urban Gardening auf Dächern für eine gute Idee: “Die Erde ist schon bebaut. Es gibt wenig Platz, weitere grüne Rückzugsorte zu gestalten.” Dass es unweit des Bunkers die Parkanlage Planten un Blomen gibt, reiche nicht. Bei einer Umfrage des Hilldegardens kam heraus, dass den Anwohnenden des Viertels vor allem Ruhe fehle. “Auf dem Bunker ist man in einer gewissen Höhe und der Verkehrslärm der Stadt wird ein bisschen leiser.”

Dieser 3D-Druck zeigt, wie der Bunker später aussehen soll. Foto: Melina Deschke

Es gibt aber auch Anwohnende, die befürchten, dass ein gegenteiliger Effekt eintreten könnte, wenn Reisebusse mit Touristen zum Hilldegarden kämen. “Sie haben Sorge ob der Eventisierung des Viertels, in dem ohnehin schon viel los ist,” sagt Ußling. Andere kritisieren, dass durch die Aufstockungspläne in den seit 2009 bestehenden Denkmalschutz eingegriffen werde. Um den insgesamt zehn Meter hohen Dachpark aufzubauen, wird es notwendig sein, von außen in die dreieinhalb Meter dicken Bunkerwände zu bohren. Der Zugang zum Dach soll über eine außen angebrachte sechs Meter breite Rampe erfolgen, die sich vom Eingang an der Feldstraße bis zum Dach um den Bunker schlängelt.

Die PlanerInnen sind sich über ihre Verantwortung gegenüber dem geschichtsträchtigen Ort bewusst. Deshalb soll mitten im Park ein Denkmal für die Zwangsarbeiter entstehen, die den Bunker errichten mussten. “Seit 70 Jahren interessiert sich keiner dafür, wie dieser Bunker entstanden ist, unter welchen Schwierigkeiten er gebaut wurde,” sagt Ußling. “Wir wollen darauf aufmerksam machen.” 

Der Flakturm sollte nach dem Krieg mit Marmor verziert werden.
Nach seinem Sieg wollte Hitler den Flakturm umgestalten. Foto: Hilldegarden

Ob der Park über St. Pauli wirklich realisiert wird, ist trotz der Bemühungen der ehrenamtlichen HelferInnen jedoch weiterhin unklar. Eine Baugenehmigung liegt vor, einen Termin für einen Baubeginn gibt es noch nicht. Wer den Blick über St. Pauli genießen und nicht abwarten will, kann sich jetzt schon jeden Mittwoch zwischen 19 und 21 Uhr in 38 Metern Höhe von der Ruhe über den Dächern des Kiez überzeugen.

Oder man gründet einfach einen eigenen Garten, denn Hamburg hat noch viele leere Dächer, die sich für Urban Gardening eignen. Darüber freuen sich auch die St.-Pauli-Bienen, weiß Ußling: “Mittlerweile gibt es viele Hobbyimker, die ihre Bienen auf Dächern halten. Die brauchen Nahrung und deshalb ist es gut, grüne Dächer zu haben.”