Wo in den 50er Jahren noch Projektoren ratterten und Filmspulen lagerten, surren heute moderne Beamer-Projektoren. Zwei Filmvorführer berichten über ihre Zeit im Raum hinter dem kleinen Fenster an der Rückwand des Kinosaals.
Die letzten freien Plätze sind gefüllt. Langsam erlischt das Licht und der Vorhang öffnet sich. Die Blicke heften an der Leinwand und es wird still im Saal. Nur noch hier und da rascheln Popcorntüten. Durch das kleine Fenster an der Saalrückwand wirft ein Projektor ein Bild auf die Leinwand. Während sich die Kinogäste in ihren Sitzen zurücklehnen, rauscht der Projektor die Lüftung surrt im Vorführraum.
Für Günter Timm war der Raum hinter dem Fenster jahrelanger Arbeitsplatz. 1956 bestand der damals 24-Jährige seine Prüfung zum Filmvorführer und verdiente sich am Abend ein paar Groschen dazu. Tagsüber war Timm Elektriker, später auch Mess- und Regeltechniker. Für die Abendvorstellungen stand er am Projektor und spulte oder überblendete Filme im Vorführraum.
Im Spulenbetrieb passt in der Regel nicht ein ganzer Film auf eine Filmspule. Ein Projektor zeigt den erste Teil der Films und der zweite Projektor die zweite Hälfte. Wenn die Projektoren gewechselt werden, werden die Bilder überblendet und somit der Übergang unsichtbar gemacht.
Timm arbeitete in unterschiedlichen Räumen mit immer anderen Projektoren. “Die Ernemann 35mm war die älteste Bauart und auch die beste und zuverlässigste”, erzählt Timm. “Es gab wirklich Räume so groß wie Mäusefallen. Ich hatte aber meist Glück und genug Platz für die Projektoren, einen Umspultisch und den Schrank mit den Filmspulen.”
Einige Vorstellungen fielen auch mal kürzer aus
Für den jungen Timm konnte die Abendvorstellung im Vorführraum manchmal nicht früh genug enden. War er am Abend noch mit Freunden in der Kneipe verabredet, fiel die Vorstellung schon mal kürzer aus. Die einzelnen Reklame-Dias vor Beginn des Films wurden dann nicht acht Sekunden gezeigt, sondern “wie mit dem Maschinengewehr durchgenudelt”, sagt Timm. Bei manchen Spätvorstellungen überblendete er früher, sodass er ein paar Meter Film eingesparen konnte. “Beim Western zum Beispiel: Die Kutsche kam von links und beim nächsten Bild kam sie von rechts. Dann kippt sie plötzlich um. Das hat das Publikum gar nicht gemerkt.”
Erwischt hat man Timm nie. “Nicht einmal beim Rauchen. Da gab es einen Notausgang mit Terasse. Es gab aber auch Kontrolleure. Aber da war dann meistens jemand unten am Eingang, der mir ein Zeichen gab, wenn sich ein Kontrolleur an der Kasse anmeldete. Da wusste man: Oh oh. Da kommt was. Schnell Zigarette aus.”
Die Vorliebe für Film und Fotografie lag bei Timm in der Familie. “Ich bin praktisch im Kino aufgewachsen. Da mein Vater Filmvorführer war, durfte ich als Sohn in jede Vorstellung”, sagt er. “Mein Vater hat mir viel beigebracht.”
Filmriss und Projektorzischen
An einen Abend im Vorführraum erinnert sich Timm noch heute: “Ich stand am zweiten Projektor und hörte ein komisches zischliges Geräusch. Irgendwann gucke ich zum ersten Projektor rüber. Da liegt am Fuß des Projektor ein großer Haufen Filmmaterial. Das war aber erst nach dem Bilddurchlauf passiert und auf der Leinwand nicht erkennbar. Die Hälfte vom Kulturfilm hatte sich, vielleicht durch einen Riss, gespalten: Eine Hälfte lief munter im Projektor weiter, die andere landete auf dem Boden. Ich habe den ganzen Kram in einem Sack zusammengesammelt und einen Zettel geschrieben: ‘Achtung. Die eine Hälfte vom Kulturfilm ist gespalten.’ Als ich zwei Tage später wiederkam, lag dort ein Zettel vom Chef: ‘Sei zufrieden. Die zweite Hälfte habe ich um die Ecke gebracht.'”
“Es war die beste Zeit. Man hat zu der zeit nicht nur tolle Filme gesehen und erlebt, sondern auch unvorstellbar viele namhafte Schauspieler und Schauspielerinnen gesehen und gesprochen.”
In einem Notizbuch hat Timm eine Liste mit über 50 Namen, die er bei Vorstellungen im Kino oder auf Hamburgs Straßen getroffen hat: Schauspieler und Regisseure wie Armin Dahl, Willy Krüger oder Karl Lange. In dicken Mappen sind Fotos und Namen von Schauspielern und Regisseuren eingeklebt. Zusammen mit seiner Frau Gertrud legte Timm die Ordner an. Eine Sammlung von Namen und Größen der Kinoszene – damals und heute.
Die Filmvorführerlizenz von Günter Timm aus dem Jahr 1956. Foto: Luise Reichenbach
Zur Zulassung als Filmvorführer musste Günter Timm eine Prüfung absolvieren. Foto: Luise Reichenbach
Günter Timm sammelt Erinnerungen in Notizbüchern. Foto: Luise Reichenbach
In selbstgemachten Sammlungen bewahrt Günter Timm Bilder und Zeitungsartikel auf. Foto: Luise Reichenbach
Die Ernemann V II b, wie Timm sie nutzte, im ehemaligen Esplanad/Parkett Theater in Stockholm aus dem Jahre 1939. Foto: Towpilot, Projection Booth 01, CC BY-SA 3.0.
“35mm machen keinen Spaß. Ich bin nur gerannt”
Theaterleiter Jasper Koch öffnet die Tür im Vorführraum des kleinen Saals im Abaton Kino. Anstelle von Regalen mit Filmspulen steht dort ein Projektor mit dutzenden bunten Kabeln und ein Schreibtisch mit vier Bildschirmen. Das Surren des Beamers rauscht im Hintergrund. “Hier habe ich mein TMS. Das Theatre Management System. Ich habe von hier aus alle drei Säle im Blick. Ich kann von hier aus zentral Filme stoppen, Filmstarts automatisieren oder ganze Programme vorplanen”, sagt Koch. Während zu Zeiten von Günter Timm die Verleiher ihre Filme in Kisten anlieferten, scrollt Koch durch die aktuelle Filmdatenbank mit über hundert Download-Filmen.
Neben seinem Studium arbeitete Koch als Kartenverkäufer im Abaton und kehrte nach einem Job in einem Start-up doch wieder zum Kino zurück. Der damalige Technikleiter Bernd war ausgebildeter Filmvorführer. Er entwarf und baute das obere Kino im Abaton. Von ihm lerne Koch noch das Vorführen von 35-mm-Filmen. “Die ersten paar Wochen waren kein Spaß. Drei Säle um 15 Uhr starten, ohne Automatik, da bin ich nur noch gerannt.”
2012 wurde das Filmvorführen im Abaton digitalisiert. Davor lief außer des Saallichts am Ende des Films und der Mechanik des Vorhangs nichts automatisch. Das Abaton hat sich dennoch dazu entschlossen, den Beruf des Filmvorführers zu erhalten. Viele Kinos haben diesen Job nicht mehr. Immer öfter übernimmt die Aufgabe etwa Kinopersonal ohne technische Vorkenntnisse.
Das Anforderungsniveau bleibt laut Koch jedoch unverändert. Verändert hat sich allerdings der Aufgabenbereich. “Es sind nicht weniger Dinge, die man wissen muss, sondern einfach andere”, sagt Koch.
“Den Beruf Filmvorführer gibt es in der Form gar nicht mehr. Das ist das digitale Vorführen: Man drückt Play.”
“Montag, Dienstag und Mittwoch muss das Programm eingegeben und die Werbepacks müssen gebaut werden, weil sich die Werbung wöchentlich ändert. Da sitzt man hier schon mehrere Stunden am Schreibtisch”, sagt Koch. Um näher an den Sälen zu sein und schneller eingreifen zu können, befindet sich sein Schreibtisch direkt im Vorführraum und nicht in den Büroräumen. Er möchte nah an den Sälen und den Projektoren sein.
Der Beruf des Filmvorführens war ein körperlich anstrengender Beruf. Ein Film konnte eine Länge von drei Kilometern Material erreichen und bis zu 30 Kilogramm wiegen.
Von seiner Erfahrungen mit 35-mm-Filmen profitiert Koch noch heute beim Umgang mit modernen Projektoren. “Ich bin großer Fan davon, jemanden zu haben, der zumindest noch weiß, was das Problem mit dem Projektor oder dem Film sein könnte und nicht einfach irgendeine Hotline anruft”, sagt er und zeigt auf den Notfall-Nummern-Aufkleber auf einem Projektor.
Über den Fortschritt ist Koch dennoch froh, die moderne Technik bringt auch Vorteile. “Möchte ich einen Film stoppen, drücke ich einfach Stop. Das Handling ist schneller und einfacher”, sagt Koch. “Außerdem habe ich keine Rückenprobleme. Das war früher eine klassische Filmvorführer-Krankheit.”
Jasper Koch an seinem Schreibtisch im Filmvorführraum. Foto: Luise Reichenbach
Nach dem Studium der Anglistik an der Universität Hamburg, arbeitete Koch in einem Start-up. Die Arbeit im Kino macht ihm mehr Spaß. Foto: Luise Reichenbach
Durch das Fenster kontrolliert Koch noch heute die Projektion auf der Leinwand. Foto: Luise Reichenbach