Annemarie Dose war viele Jahre eine bedeutende Persönlichkeit für Hamburg. Wer sie nicht kannte, der kennt zumindest ihre Hamburger Tafel. Jana Stüven erinnert mit einem liebevollen Dokumentarfilm an die Gründerin.
Annemarie Dose kannte man in Hamburg nur als Ami, eine besondere Persönlichkeit, ohne die die Hamburger Tafel heute nicht wäre, was sie ist. In ihrem Debütfilm “Ami” hält die junge Regisseurin Jana Stüven das für die Nachwelt fest. Der Film ist eine liebevolle Mischung aus Anekdoten von engen Freunden und Familienmitgliedern und Reportage-ähnlichen Szenen über den gemeinnützigen Verein Hamburger Tafel e.V..
Die Atmosphäre, die Jana Stüven in ihrem ersten Dokumentarfilm geschaffen hat, ist intim. Familienmitglieder erzählen ganz privat von ihrer Mama, Oma, Tante. Sie sitzen auf einem Sofa im Haus der Familie, wo Ami ihre letzten Tage verbrachte, sie stöbern in Amis alten Fotos und Habseligkeiten und erzählen vom Leben der Philanthropin. Zum Beispiel, dass sie nicht Auto fahren konnte – es haperte wohl am Schalten. Sollte man sie aber darauf hinweisen, hieß es immer: “Ihr könnt ja laufen.” Es wird viel gelacht, es gibt die ein oder andere Träne. Viele Nahaufnahmen verstärken das vertraute Gefühl.
“Die Hamburger Tafel war ihr Baby”
Freunde, Mitarbeiter und Unterstützer der Hamburger Tafel geben Interviews und erzählen Geschichten über die allseits beliebte Ami. Tafel-Fahrer Claus Herda erzählt mit einem Lächeln im Gesicht, dass Ami auch mit 82 Jahren noch mit ihm Motorrad fahren wollte.
Auch Julia Bauer unterstützt seit 12 Jahren die Hamburger Tafel. Sie kannte Ami Dose gut, erzählt sie gegenüber FINK.HAMBURG . “Ami musste immer alle Zügel in der Hand halten. Die wusste schon immer ziemlich genau, was sie wollte und, was sie auf jeden Fall nicht wollte.” Ihre Fußstapfen seien verdammt groß gewesen. “Die Hamburger Tafel war eine Organisation, die wirklich von ihr abhängig war. Sie war ihr Baby.” Deshalb habe die Tafel nach ihrem Tod erstmal zwei Jahre geschwommen. “Mittlerweile wachsen wir langsam wieder, versuchen unsere Aufgabe in der Gesellschaft weiter gut zu bewerkstelligen.”
Auch die Regisseurin selbst ist in ihrem Dokumentarfilm zu sehen. Zwischen anderen ehrenamtlichen Mitarbeitern packt sie beim Tragen von Lebensmittelkästen mit an und fährt im Tafel-Sprinter durch Hamburg. Später fährt sie nach Sörnewitz, dem Geburtsort von Ami Dose. Dort trifft sie Amis Neffen, der sie im kleinen Ort bei Meißen herumführt und alte Fotos und Videoaufnahmen seiner Tante zeigt.
Aus einer kleinen Idee wurde ein großes Ding
Ami Dose sei zwar ein Kind der Nachkriegszeit gewesen, aber ihr Elternhaus sei wohlhabend gewesen, erzählt eine ihrer Töchter. “Ihr ging es gut, den anderen ging es schlecht. Sie hat immer ein schlechtes Gewissen gehabt.” Das sei wohl auch der Grund gewesen, weshalb sie nach dem Tod ihres Ehemannes trotz des Rentenalters noch eine Tafel gründen wollte.
1994 kam die Hamburger Tafel in Gang. Aus dem Film geht hervor, dass die Familie zu Beginn nicht damit gerechnet hatte, dass aus Amis Idee ein so großes “Ding” werden könnte. Birgit Müller, Chefredakteurin von “Hinz und Kunzt” erzählt von damals, es sei die Hochzeit der negativen Auswirkung einer gesellschaftlichen Wandlung gewesen. “Die Hamburger Tafel war eine zivilgesellschaftliche Antwort auf politisches Versagen.” Ihrer Meinung nach hat die Bundesrepublik von Anfang an dabei versagt, der Arbeits- und Obdachlosigkeit entgegenzuwirken.
Schon 1995 erklärt Ami in einem Radiointerview das Prinzip, nach dem die Tafel auch heute noch funktioniert. “Wir, die Konsumenten, verlangen rund um die Uhr gefüllte Regale, volle Speisekarten – es muss immer alles da sein. Und die Händler sind einfach gezwungen den Bedarf abzudecken. So entstehen Überschüsse. Und diese Überschüsse dürfen kein zweites Mal angeboten werden. Die schöpfen wir dann ab, und das ist eine ganze Menge.”
Ami Dose starb am 28. April 2016. Ihre Familie sagt heute über sie: Die letzten 25 Jahre ihres Lebens galten nur der Hamburger Tafel. Bis zum Ende, auch als Ami schon längst krank war, war die Tafel noch immer ihr Ein und Alles.
Titelfoto: Jana Stüven/Filmfest Hamburg