Michael Heimann hat den jüdischen Salon in einem Café im Grindelviertel vor zwölf Jahren mitgegründet. Die FINK.HAMBURG Redakteurinnen Michelle Albert und Lilly Brosowsky haben ihm sieben Fragen gestellt.
Ein Interview von Michelle Albert und Lilly Brosowsky.
Michael Heimann sitzt neben dem Bücherregal an einem dunklen Tisch im Café Leonar. Er spricht leise und bedacht, manches geht dabei in der Geräuschskulisse unter: im lautstarken Mahlen der Kaffeebohnen, dem Geschirrklappern. Gesprächsfetzen und Gelächter verdichten die Atmosphäre. Ruhig wird es erst im hinteren Bereich des Cafés, wo Heimann die Tür zum jüdischen Salon öffnet: Ein gemütlich eingerichteter Raum mit Fenstern, die bis zum Boden reichen. Draußen wächst hohes Gras. Man kann sich gut vorstellen, wie auf der kleinen Bühne über die jüdische Kultur gelesen und gesprochen wird. Heimann ist eine von acht Personen, die mehrmals im Monat Lesungen und Diskussionsrunden im jüdischen Salon organisieren.
FINK.HAMBURG: Lieber Herr Heimann, erzählen Sie doch mal kurz wer Sie sind und was Sie so machen.
Shoah ist die in der jüdischen Kultur übliche hebräische Bezeichnung für den Holocaust.
Michael Heimann: In der jüdischen Gemeinde gibt es verschiedene Gremien und Vorstände. Ich bin dort Beiratsvorsitzender. Ich komme von der liberalen Seite des Judentums, vom sogenannten Reformjudentum. Das hat sich vor 200 Jahren gebildet und war vor der Shoah in Hamburg vorherrschend.
Anders als das orthodoxe Judentum, passt das Reformjudentum die jüdischen Traditionen an das moderne Leben an. Man nennt es deshalb auch liberal. Mehr dazu erfährst du hier.
Die jüdische Gemeinde in Hamburg versteht sich heute als Einheitsgemeinde. Das heißt, wir gehören alle zusammen, haben aber zwei verschiedene Synagogen. Die orthodoxe Synagoge Hohe Weide und die Reformsynagoge. Letztere habe ich 2016 mitgegründet.
Weshalb engagieren Sie sich für den jüdischen Salon?
Ich habe erst mit 30 Jahren Kontakt zur jüdischen Gemeinde gesucht. Meine Eltern haben mich zwar als Kind in der jüdischen Gemeinde angemeldet, hatten selbst aber keinen Kontakt zur ihr. Ich wollte dieses Fremdgefühl, das ich in Deutschland hatte, dort überwinden. Das war natürlich eine Illusion, zumindest aber ein Ansatz. Es ist für mich heute noch ein Akt des Lernens, der Selbstvergewisserung. Ein Akt, in dem ich mich in meiner jüdischen Facette erst einmal selbst finde. Und das ist der Grund, warum ich mich für den jüdischen Salon engagiere.
Wie ist der jüdische Salon entstanden?
Das war vor zwölf Jahren. Die jüdischen Gemeinden wurden nach dem Krieg von Überlebenden der Shoah gegründet. Das waren Menschen, die zwar in Deutschland lebten, aber sich aufgrund der Shoah auch als Fremdkörper empfanden. Sie führten zum Teil ein sehr abgegrenztes Leben. Jüdische Menschen lebten und arbeiteten hier, aber hatten kaum Kontakt zum Rest der Gesellschaft.
Zu Besuch im koscheren Supermarkt, unterwegs mit Stolpersteinputzer:innen und zu Gast im Chabad: FINK.HAMBURG nähert sich in einer Themenwoche mit Reportagen, Interviews und Rückblicken dem jüdischen Leben in Hamburg.
Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Die Kinder dieser Menschen sind natürlich immer noch durch ihre Eltern geprägt, so wie ich. Aber es gibt nicht mehr diese extreme Abgrenzung zum Deutschen. Man fängt schon an sich mehr als Bestandteil der deutschen Gesellschaft zu fühlen, trotzdem bleibt das Fremdheitsgefühl. Ein sehr schwieriges Thema. Ich denke, dass der Salon vor 12 Jahren gegründet wurde, hatte damit zu tun.
Der jüdische Salon versucht also durch Anregung und Austausch das Trauma der Shoah aufzuarbeiten – fehlt es an vergleichbarer Diskussionskultur in Deutschland?
Ja, aber auch das verändert sich von Generation zu Generation. Meine Kinder erleben das schon ganz anders als ich. Ich habe das Gefühl, dass die Shoah und alles was passiert ist, die Diskussion erschwert. Es hindert uns daran, wirklich frei miteinander zu sprechen. So etwas wie der Salon kann das nicht beseitigen, aber er kann zumindest den Weg ebnen, dass Hemmungen verschwinden und es eine Möglichkeit zum Gespräch gibt.
Wer darf zum jüdischen Salon kommen?
Hier kann jeder zusammenkommen. Es handelt sich deshalb eigentlich auch nicht um eine jüdische Organisation. Salon bedeutet auch Gespräch, die Diskussion ist also auch immer Teil einer Veranstaltung.
Worum geht es bei den Veranstaltungen?
Es geht um jüdische Kultur und weniger um die jüdische Religion. Uns geht es um alte wie neue Literatur und um den Austausch darüber. Zum einen also um den Teil der Kultur, der durch die Shoah verloren gegangen ist und zum anderen um das heutige jüdische Leben. Beides wollen wir in die hamburgerische Gesellschaft miteinbringen.
Ich denke, dass der Salon für die jüdische Seite gegründet wurde, um das Außenseiter-Sein zu durchbrechen und für die nicht-jüdische Seite, um das Judentum wieder erlebbar zu machen.
Wir lesen im Salon alte Texte, in letzter Zeit aber vor allem auch viel zeitgenössische Literatur. Zum Beispiel war der Publizist Max Czollek da, der sich stark mit der Sicht junger, jüdischer Menschen in Deutschland auseinandersetzt. Dass man als Jude beispielsweise eine gewisse Rolle spielt bei diesem – wir nennen es – Erinnerungstheater.
Zeitgenössische jüdische Literatur
Durch den Kontakt zu jungen jüdische Autoren bekommen wir im Salon zudem die Perspektive jüdischer Nachwuchsautoren aus Israel und ihre Ansichten zur dortigen Politik mit. In Berlin leben mittlerweile einge von ihnen. Sie sind nach Deutschland gekommen, weil sie mit der politischen Situation in Israel nicht zurechtkommen. Jetzt schreiben sie darüber und in Berlin bildet sich gerade ein ganz neues Literatur-Genre.
Zum Beispiel hatten wir vor kurzem eine Veranstaltung mit Tomer Gardi, der für sein Literaturstudium aus Tel Aviv nach Berlin kam. Er hat sein Buch “broken german” vorgestellt. In diesem Buch schreibt er zwar deutsch, aber mit Absicht gebrochen. So wie jemand, der wie er erst vor ein paar Jahren von Israel nach Deutschland gekommen ist.
Welche Veranstaltung findet als nächstes statt?
Unsere nächste Veranstaltung ist eine Lesung von Lena Gorelik. Sie ist vor 11 Jahren hier hergekommen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. In ihrem Buch “Wer wir sind” erzählt sie ihre Geschichte, wie es war herzukommen ohne Deutsch zu sprechen. Und jetzt ist sie deutsche Schriftstellerin. Das zeigt: Es gibt wieder lebendiges jüdisches Leben in Deutschland, aber das ist völlig anders als es vor der Shoah war, weil es andere Menschen mit anderen Wurzeln sind.
Bei den Lesungen sind entweder die Autor:innen jüdisch oder die Texte handeln von der jüdischen Kultur. Unterstützt wird der Salon vom Institut für Exilliteratur der Universität Hamburg und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Vor der Corona-Pandemie fanden monatlich drei bis vier Veranstaltungen statt, aktuell ein bis zwei.