Warum investieren Unternehmen aus China in Afrika? Und was hat es mit der “Chinesischen Eisenbahnsprache” auf sich? In seinem jüngsten Dokumentarfilm “Yu Gong” beleuchtet Daniel Kötter die Schattenseiten der Globalisierung.

Schenkel stampfen auf dem Boden, die äthiopischen Bauarbeiter trainieren den Gleichschritt. In einem Meer aus Schutt und Sand ziehen Kräne Wolkenkratzer in den Himmel. Die Rufe der Handwerker gehen zwischen den brummenden Baggern unter.

Trist wirkt die Seite Afrikas, die Regisseur Daniel Kötter mit “Yu Gong” festhält. Er besucht die Bahnhöfe und Fabriken, die Arbeiterheime und Schneidereien. Orte, die von chinesischen Unternehmen geführt werden. Auf einer Baustelle stottert ein chinesischer Aufseher einen Mix aus Mandarin und brüchigem Swahili.

“Wir haben es die ‘Chinesische Eisenbahnsprache’ genannt”, sagt der Mitarbeiter eines chinesischen Eisenbahnunternehmens in Tansania. Er klagt über die Sprachbarrieren. Ein anderer erzählt vom Kobalthandel im Kongo. “Bis zu einem bestimmten Punkt helfen uns die Chinesen. Es gibt aber Leute, die sagen, dass sie Diebe sind, die von uns stehlen.” Die chinesischen Händler*innen würden die Rohstoffpreise in den afrikanischen Staaten drücken. Trotzdem bräuchten die Menschen vor Ort das Geld. Eine Wahl hätten sie nicht.

Ein Film ohne Gesichter

Kötter demonstriert in seinem Film “Yu Gong” den Zwiespalt der afrikanischen Bevölkerung. Er spricht mit Menschen, die sich nach Entwicklung sehnen, und mit welchen, die vor der Ausbeutung warnen. Und er lässt sie die chinesische Legende von Yu Gong vorlesen, dem “närrischen Alten”.

Die Parabel dient dem Film als Leitfaden und als Namensgeber. Sie handelt von einem alten Familienvater, der zwei Berge abtragen will und seine Nachfahren dazu verdonnert, die Arbeit fortzusetzen. Vor allem während der chinesischen Kulturrevolution spielte “Yu Gong” eine große Rolle: Mao Tse Tung nutzte die Parabel für seine Propaganda und betrachtete die darin vorhandenen Berge als den  Imperialismus und Feudalismus, die das chinesische Volk abzutragen hätten.

Erwähnt wird dieser Kontext im Film nicht. Das ist schade, geht es in “Yu Gong” doch um den Missbrauch von Narrativen und um chinesische Firmen, die mit ihren Versprechen ihre wirtschaftlichen Interessen verschleiern. Diese versuchen sie in zahlreichen afrikanischen Ländern durchzusetzen.

In Algerien, Äthiopien, Tansania, Zambia, Mosambik und im Kongo hat Kötter gefilmt. Alle sechs Nationen sind vom Handel mit China abhängig und von den chinesischen Investor*innen, die für billige Rohstoffpreise Schienen verlegen. Die Infrastruktur ist vielerorts dürftig. “Wir haben keine Wahl. Wir sehen es als normale Sache. Vielleicht denken wir, dass sie [die Chinesen, Anm. Red.] besser sind”, sagt ein anonymer Interviewpartner.

Ein afrikanischer Mann sitzt an der Mao Tse Tung-Straße.
Eine Szene aus “Yu Gong”: Die Straße wurde nach dem chinesischen Revolutionär Mao Tse Tung benannt. Foto: Daniel Kötter

Anonym bleiben alle Personen, mit denen Kötter sich getroffen hat. Selten kommt im Film jemand zu Wort, quietschende Schienen und ächzende Kräne dominieren die Geräuschkulisse. Die wenigen, die sprechen, sind Erzählerstimmen ohne Gesicht und ohne Namen. Dies sorgt für emotionale Distanz, der Film zieht sich wegen fehlender Protagonist*innen stellenweise in die Länge.

Starke Bilder, zu wenig Fakten

Kötter setzt vor allem auf stille Momente und starke Schnittbilder. Er zeigt die scharlachroten chinesischen Propaganda-Banner, die die kahlen Textilhallen dominieren, und erschöpfte Hotelarbeiter, die betrunkene Chinesinnen und Chinesen bedienen. Andere Szenen, etwa minutenlange Landschaftsbilder, sind künstlerisch aufgeladen und stehen für sich. Sie spiegeln Situationen wider, eingeordnet werden sie nicht.

Problematisch ist dieser artistische Ansatz jedoch im Hinblick auf das Genre Doku. Denn “Yu Gong” ist ein Film, der zwar zum Nachdenken anregt, aber nur wenige Zahlen und Fakten preisgibt. Die Prozesse zwischen China und Afrika bleiben undurchsichtig – die dokumentarische Funktion wird zugunsten der ästhetischen Form vernachlässigt. Ob dies für das Thema angemessen ist, bleibt fraglich. An etlichen Stellen hätte man sich mehr Informationen gewünscht.

Über den europäischen Tellerrand hinaus

“Yu Gong” stellt die Meinungen derer in den Mittelpunkt, die sonst übergangen werden. Die des Händlers im kongolesischen Kolwezi etwa oder die Erfahrungen des Eisenbahnmechanikers an der sambisch-tansanischen Grenze. Sie alle sind im Off zu hören. Die Meinung der Frauen vor Ort sowie ein kritischer Blick auf die eigene europäische Kolonialgeschichte fehlen hingegen leider.

Kötters Mühe wurde trotzdem mit einer Nominierung als Politischer Film der Friedrich-Ebert-Stiftung und für den Sichtwechsel Filmpreis belohnt. Denn der Regisseur war dort, wo sich andere nicht hinbegeben. Er wagt den Blick über den Tellerrand und erzählt eine Geschichte, über die nur wenige sprechen. Auch das muss Kino können.

“Yu Gong” wurde im Rahmen des Filmfest Hamburg 2019 gezeigt.

Kritischen Umgang mit der chinesischen Politik gibt es auch hier: “One Child Nation” über die Ein-Kind-Politik Chinas.

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